Die Sau und der Mörder
Versicherten benutzte man wohl
Stricknadeln. Dann gab’s Frühstück, falls man den Fraß so bezeichnen wollte.
Statt Kaffee bekamen wir eine rötliche Flüssigkeit vorgesetzt, die meine
Geschmacksknospen als Hagebuttentee identifizierte. Zudem durften wir unsere
Mägen mit hartem Graubrot vollschlagen. Die Erdbeermarmelade bestand zu
neunundneunzig Prozent aus Zucker.
Nachdem ich
von der Morgenzigarette im abgeschmackten Raucherzimmer zurückgekehrt war,
musste ich Muschinskis Lebensgeschichte mit anhören, die er Gipsbein-Thorsten
in epischer Breite erzählte. Dauerte nicht länger als fünf Minuten.
Dann der
Höhepunkt des Tages: Visite. Sie besaß unverkennbare Parallelen zu einem Besuch
des Bundespräsidenten. Ein gewisser Professor Gumbrecht schleppte einen
kompletten Hofstaat an Assistenzärzten und Schwestern hinter sich her. Zunächst
wechselte er einige Worte mit meinen Zimmergenossen, dann war ich an der Reihe.
»Wie geht es
uns ?« , blickte er väterlich auf mich herab.
»Sind Sie der
Koch? Dann sehen Sie mal schleunigst zu, dass der Speiseplan überarbeitet wird.
Nach diesem Frühstück graut es mir schon vor dem Mittagessen .«
Für einen
Sekundenbruchteil blickte er verdutzt aus der Wäsche, dann war er wieder die
personifizierte Souveränität: »Zumindest hat unser Herr Nannen seine
Forschungen auf dem Gebiet der Morphologie aufgegeben«, ließ er seinen Tross
schmunzeln.
»Das wird
schon wieder, mein Lieber, das wird schon wieder«, tätschelte er mir den Kopf
und verschwand samt hundertköpfigem Anhang.
Allerdings
dauerte es nicht lange, bis die Tür erneut geöffnet wurde.
»Was machen
Sie denn für Geschichten? Hätte ich geahnt, dass Sie mein Gedicht dermaßen
erregt, hätte ich eines meiner beschaulicheren Poeme vorgetragen .« Vaganz sollte auch mal auf der Fußmatte ausrutschen; auf
dem Himalaya.
»Dieter will
Kaffee trinken«, musste ich ihn an einen Ort lotsen, wo wir ungestört waren.
»Mon pauvre
ami! Es muss Sie schwer erwischt haben, wenn Sie es für unnötig erachten, den
unbestimmten Artikel, eine der poetisch wirksamsten Wortgattungen der deutschen
Sprache, zu gebrauchen. Es heißt: Einen Kaffee, Herr Nannen, einen Kaffee !«
»Bringen Sie
mich zur Cafeteria, Sie Idiot !« , zischte ich leise und
zog dabei ernsthaft in Betracht, Krankenhaus gegen Gefängnis einzutauschen,
indem ich ihn auf der Stelle erwürgte. »Schon mal was von verdeckter Ermittlung
gehört ?«
»Naturellement.
Mea culpa, mea culpa. Lassen Sie uns aufbrechen .«
Während ich
mich umzog, wurden wir hervorragend unterhalten: »Noch ein Bekloppter. Wenn das
so weitergeht, haben wir hier das reinste Irrenhaus«, klatschte Fred sich mit
der flachen Hand vor die Stirn. »Die sind selbst für die Klapse zu bescheuert«,
gluckste Franz.
In der
Cafeteria ließ ich mir ein Kännchen Kaffee, eine Frikadelle mit Senf und eine
Schachtel Camel spendieren. Nachdem ich den Fleischklops vertilgt und eine
brennende Kippe zwischen die Lippen gesteckt hatte, war ich für das Gespräch
mit Xtra gerüstet.
»Woher kennen
Sie Grutz’ neuen Roman? Kein anderer hat bisher davon gehört«, ging ich sofort
in die Vollen.
»Habe ich in
meiner unverzeihlichen Geistesabwesenheit nicht erwähnt, dass Hermann mich zwei
Tage vor seinem Tod um Rat gefragt hat? Er war sich nicht sicher, ob der Stoff
nicht zu brisant sei .«
»Na schön,
nicht so wichtig. Wichtig hingegen sind die Namen der beteiligten Ärzte. Wenn
ich von Ihnen keine Anhaltspunkte erhalte, muss ich im Trüben fischen, was die
Aufklärung erheblich verzögern wird .«
Vaginowski
runzelte nachdenklich die Stirn: »Mein Gedächtnis besitzt auch nicht mehr die
Kraft, der es sich früher erfreute. O Jugend, wohin bist du gegangen ?«
»Soll ich
Ihnen auf die Sprünge helfen? Bis jetzt habe ich Doktor Grunwald und Professor
Gumbrecht kennengelernt .«
»Gumbrecht !« , begannen seine Augen zu leuchten. »Er ist der
Drahtzieher, wenn ich mich Ihrer Terminologie bedienen darf. Im Buch heißt er
zwar Professor Grubecht, aber das soll uns nicht täuschen. Heften Sie sich an
seine Fersen, und Sie haben den Mörder !«
Das war doch
was. Jetzt brauchte ich keine wertvolle Zeit zu verschwenden, denn allzu lange
würde man mich kaum hierbehalten. Nachdem ich Xtra gebeten hatte, Karin
Schumann mit der Pflege meiner Tiere zu betrauen, ging es zurück aufs Zimmer.
9
D er langweilige Nachmittag wurde nur
durch Connies Besuch unterbrochen, die mir
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