Die Sau und der Mörder
Nachhilfe. Dieser Text behandelt das
Verhältnis des produzierenden Individuums zur Natur. Es ist so in den
Arbeitsprozess eingespannt, dass es Natur nur noch während der beruflichen
Tätigkeit rezipieren kann. Ein Aufruf zum Widerstand gegen die herrschende
Klasse.«
Vaginowski
hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu entgegnen, als ihm Cellert zuvorkam.
Er war mit Abstand der Jüngste in der Runde. Wäre sein Gesicht nicht durch
Aknenarben entstellt gewesen, hätte er gute Chancen besessen, als Starschnitt
in der Bravo zu landen. Sein schwarzes Haar fiel
lockig auf die Schultern. Kleine Grübchen unter den Augen nahmen seinem Gesicht
den Ernst, den die anderen Dichter an den Tag legten.
»Vielleicht
sollten wir uns heute kürzer halten, damit Herr Nannen seine Fragen stellen
kann .«
Etwas
beleidigt gab Vaganz zu, dass dies eine ma-gnifikante Idee sei, und Gisbert
verzichtete mit sichtlichem Bedauern auf seinen Vortrag. Soweit wollte
Vaginowski allerdings nicht gehen. Den letzten Zuwachs seines Œuvres müsse er
einfach zum Besten geben, wo Herr Nannen sich so darauf gefreut habe. Da ich
wusste, dass Widerspruch zwecklos war, ließ ich ihn gewähren.
Mein
Auftraggeber faltete einen rosafarbenen Zettel auseinander und erhob sich mit
einer pathetischen Geste:
»Ode ans
Elysium
Mir war,
als hätt der Orpheus
Eurydike
still geküsst.
Dass sie
im Blütenzimmer
Nur von
ihm träumen müsst.
Die Lüfte,
Frücht der Fächer,
Schimären
zogen bedacht,
Vor der
Tür gar viele Dächer,
So
lieblich, ach, so sacht.
Und meine
Seele rannte
Weit aus
dem Spann heraus,
Gelobt sei
frei, andante,
Schönheit
Münsteraner Himmelblaus .«
»Sie jämmerlicher Epigone wagen es,
uns dieses Konglomerat aus Brentano und Vaginowski vorzusetzen ?« , hatte Strass’ Kopf eine dunkelrote Färbung angenommen.
»Sie hätten den Anstreicherberuf nicht aufgeben sollen, als Dichter taugen Sie
nämlich nicht die Bohne. Sie greifen meinen Großen Ast an und lesen
selbst etwas teilweise wörtlich Abgeschriebenes vor. Sie haben es nicht
verdient, sich Dülmener Serapionsbruder zu nennen !«
Vaganz sah
aus, als stünde er kurz vor einem Infarkt: »Sie sind degoutant, mon ami. Meine
Verse lobpreisen unser herrliches Westfalen. Dies ist in der langen Historie
Münsterländer Dichtung noch nie so gekonnt vorgekommen. Allein das Versmaß ist
revolutionär antitraditionell eingesetzt. Ich nenne es den jambischen
Dreisprung. Ein Novum, eine Weltsensation. Eine Frechheit, mich bloßstellen zu
wollen. Noch Generationen werden inniglich verzückt meine Worte memorieren.
Aber fragen wir einen neutralen Beobachter: Herr Nannen, was halten Sie von
meinem Poem ?«
Den Mandanten
verärgern oder lügen, dass das Gebälk zusammenkrachte?
»Wenn Sie
mich so direkt fragen: Ich persönlich kann Herrn Strass nicht recht geben«,
ließ ich Xtra um einige Zentimeter wachsen und triumphierend in die Runde
blicken. »Sie haben nicht von Brentano, sondern von Eichendorff abgeschrieben .«
»Ich hatte
Sie für einen Freund gehalten, aber Sie stoßen mir den Dolch in die klaffende
Wunde. Ich kenne Sie nicht mehr, meine Herren !« Im
Sturmschritt verließ der vor Wut kochende Poet den Raum, und kurz darauf fiel
die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss.
»Es ist jedes
Mal dasselbe«, hatte Strass sich noch immer nicht abgeregt. »Der werte Herr ist
einfach nicht fähig, auch nur die leiseste Kritik an seinen Ergüssen zu
ertragen .«
»Sie sollten
seine Gedichte nicht andauernd in der Luft zerreißen«, meldete sich Cellert zu
Wort. »Bedenken Sie, dass Vaganz nach Grutz’ Ableben unser größter
Hoffnungsträger ist. Viele Leser lieben seine Poesie abgöttisch, und ich
schätze, dass ihm am ehesten der kommerzielle Durchbruch gelingen könnte .«
»Aber es ist
doch alles abgeschrieben! Wenn selbst Herr Nannen, der, mit Verlaub,
literarischer Laie ist, seine Werke richtig einzuordnen weiß, dann kann es die
Fachwelt auch. Und auf die kommt es uns doch an .«
»Was stört
mich die Fachwelt? Ich will meine Schmöker verkaufen, und wenn ich mich dafür
mit Vaganz gut stellen muss, dann ist er halt ein zweiter Goethe .«
Es wurde
Zeit, von vereinsinternen Grundsatzdiskussionen wegzukommen und Hermanns Rolle
in dieser Gemeinschaft zu erörtern: »War Grutz ein ebenso begabter Dichter wie
Vaganz ?«
»Nannen !« , polterte auf einmal Heiner Hein los. »Eben haben Sie noch
durch fundierte literaturgeschichtliche Kenntnisse geglänzt,
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