Die Sau und der Mörder
Seitdem ich mitmischte, hatte sich die Anzahl der Leichen verfünffacht: Grutz, Egon, Claude, Kinker und Connie.
Am meisten zu schaffen machte mir meine Unfähigkeit, die Morde zueinander in Beziehung zu setzen. Am einfachsten wäre es gewesen, alle Todesfälle der Organmafia zuzuschreiben. Doch Kinker wurde erst nach Claudes und Egons Tod umgelegt, und diesen beiden hätte ich die Morde am ehesten zugetraut. Es lag natürlich auf der Hand, dass die Organisation wesentlich größer war, als ich ermessen konnte. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte Egon auf dem Nottulner Gehöft von Ware aus Münster gesprochen. Ziemlich komplexe Aufgabe für einen einsamen Privatdetektiv.
Die Lösung lag auf der Hand: Ich würde Balthasar Kinker als Hermanns Mörder präsentieren. Die Serapionsbrüder wären zufrieden, weil ihr Idol durch den Tod des Mörders gerächt war. Die Polizei wäre zufrieden, weil ich nicht mehr in deren Arbeit pfuschen würde. Ich wäre zufrieden, weil ich mir vom Honorar einen neuen Wagen leisten konnte.
Es klingelte. Mühsam aus dem Sofa befreit und die Tür geöffnet. Sofort stürmte Vaganz an mir vorbei, drapierte seinen Mantel über die Sessellehne und ließ sich ungefragt auf der Couch nieder.
Er war jedoch nicht der einzige Gast, denn Sarah Müller lehnte im Türrahmen: »Darf man eintreten ?«
»Nur zu.«
Sie setzte sich neben Xtra, der eine Zeitung auf den Tisch warf.
»Herr Nannen, eher ami, in was sind Sie nur hineingeraten? Das Schicksal lässt auch nichts unversucht, Ihnen Knüppel zwischen die Gliedmaßen zu werfen. Gestern noch der Maestro, das Genie, der Gott der lokalen Detektivprofession, heute ein Strauchdieb, ein Mörder, ein Gesetzloser. Ich verstehe nicht...«
»Was brabbeln Sie da vor sich hin ?« , unterbrach ich ihn.
»Soll ich nun schweigen oder meinen Worten freien Lauf lassen ?« , verzog er beleidigt den Mund. »Ich lasse mich nicht herumschubsen wie ein unmündiges enfant. Sie sollten sich freuen, dass ich Ihre Gesellschaft nicht meide. Schließlich bin ich als Poet dem Guten, Schönen, Wahren verpflichtet. Lauter Werte, die in Ihrem begrenzten Wortschatz fehlen dürften.«
Meine Faust verirrte sich in Xtras Gesicht, genug war genug.
»Ich verklage Sie, Sie Mörder. Das war ein Attentat auf die Poesie. Ich werde in den nächsten Wochen, ach, was sage ich, Monaten keine Zeile mehr zu Papier bringen können .«
»Entschuldigen Sie bitte, Fräulein Müller, normalerweise ist es nicht meine Art, Gäste zusammenzuschlagen«, achtete ich nicht auf Vaginowskis Gewimmere.
»Haben Sie etwa noch keine Zeitung gelesen ?« , schenkte sie mir ein bezauberndes Lächeln.
Auf mein horizontales Nicken reichte sie mir den Dülmener Kurier, den Xtra auf den Tisch gelegt hatte. Mein Konterfei zierte die Titelseite. Ich lag mit der Waffe in der Hand neben dem toten Kinker.
Bekannter Privatdetektiv mordet im Rausch — Der tiefe Fall des Dieter N.
Der in Buldern ansässige Privatdetektiv Dieter N. wechselte gestern Nacht die Seiten des Gesetzes. Schon seit längerer Zeit ist bekannt, dass N. mit dem Erfolgsdruck nicht fertig wurde. Im Herbst diesen Jahres war er zum ersten Mal straffällig geworden. Das Opfer: ein Pudel, der arglos seinen Weg kreuzte. N. sah rot und trat das Gaspedal seines amerikanischen Sportwagens durch. Strafe: vierzig läppische Sozialstunden. Abschreckende Wirkung: null. In der letzten Woche wurde Ns Geliebte Cornelia L. in seiner Wohnung erstochen aufgefunden, doch N. konnte nichts nachgewiesen werden. Gestern Nacht pflasterte eine weitere Leiche N.s Weg. Balthasar Kinker, ein unbescholtener Bürger unserer Stadt, beging den Fehler, N. in seine Wohnung zu lassen. N., mit Drogen bis zur Halskrause vollgepumpt, ermordete ihn auf bestialische Weise. Das Motiv bleibt unklar, da der Dülmener Polizeichef Theo Hartmann zu keinem Kommentar bereit war. Hoffen wir, dass er für immer weggesperrt wird, ansonsten drohen Dülmen weitere Morde durch N.
Unterzeichnet war der Sermon mit Gerhard Tilke, pikanterweise Karin Schumanns Bruder. Ich hatte ihm damals exklusiv die Story meines ersten Falles verkauft, und nun hatte ich ihm erneut eine Schlagzeile geliefert.
»Glauben Sie mir, Fräulein Müller: Die Geschichte ist von vorne bis hinten erstunken und erlogen .«
»Das gedruckte Wort lügt nicht, das gedruckte Wort lügt nicht !« , keifte Vaganz dazwischen. »Sie haben das Vertrauen der Serapionsbrüder auf das Schmählichste missbraucht und unseren Namen in den
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