Die Scanner
mit dem Scannen aufgehört hätte, was wäre dann? Wenn alle Bücher nicht mehr kostenlos für jeden auf Ultranetz wären, na und? Es hatte doch sowieso kaum einer Geld, um sich gedruckte Fassungen zu leisten.
Da musste ich nur an mich denken. Mobril-Rechnungen, Abzahlungsraten für den Animator, die Ultranetz-Zusatzdienste, die Techmix-Kosten … Wenn noch was übrig blieb, reichte das für so ein fischiges Süppchen.
Überhaupt fand ich alles Textliche unheimlich langweilig. Ich hatte mir die gescannten Bücher, die auf Ultranetz zur Verfügung standen, noch nie angeschaut. Wenn ich die Wahl zwischen atemberaubendem Animator und schwarz-weißem Buchstabensalat hatte, war das keine schwere Entscheidung.
»Wie heißt sie?«
Jojos Frage machte mir zwei Dinge klar. Erstens schwiegen wir uns seit einigen Minuten an der Bar unter dem leuchtenden Hai an. Zweitens neigte ich inzwischen auch zu Monologen. Zu Gedanken-Monologen. Die Büchergilde war ansteckend.
»Bist du verrückt? Wen meinst du?«, entgegnete ich.
»Bin dein bester Freund. Kenne dich. Wenn du nicht den alten Sack aus dem Metro-Gleiter getroffen hast, gibt es nur eine Erklärung für dein textintensives Verhalten.«
»Und die wäre?«, fragte ich.
»Du bist verliebt.«
Ich und verliebt. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Aber Jojo brachte mich auf eine Idee. Ich verstrickte mich zwar immer mehr, aber was blieb mir übrig? Ich war sowieso schon zu tief drinnen.
»Vergiss es!« Ich musste ihn neugierig machen. Mehr von der eigentlichen Sache, der Wahrheit, ablenken.
»Ich zahl uns noch eine Portion Fischwasser«, sagte Jojo.
Ich konnte das Zeug nicht mehr sehen.
»Und ich kopiere dir alle Daten von 20 Premium-Freunden. Alles!«
Das interessierte mich überhaupt nicht. Aber ich druckste genug herum. Fast genug.
»Sagen wir 200!«, forderte ich.
»Unglaublich! Aber okay. Abgemacht.«
»Bist der Erste, der es erfährt«, sagte ich endlich.
»Also doch!«, rief Jojo.
»Psssst!«
»Was macht sie?«, flüsterte Jojo.
»Sie arbeitet als Pflegerin.«
»Wo?«
Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen.
»Seniorenlager in der C-Zone. Mehr verrate ich nicht. Die Sache ist noch zu frisch.«
Jojo freute sich wie ein Schulkind kurz vor den großen Vier-Tages-Ferien. »Wusste ich’s. Du warst in der C-Zone. Immerhin hattest du einen guten Grund!«
Er schlug mir auf die Schulter, der Löffel flog mir aus der Hand, und die Suppe spritzte breitflächig auf mein Hemd.
Ich log ihn ab jetzt also an. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Aber ich strahlte weiter und wollte mit seinem Lieblingsthema ablenken. »Was ist mit Mellis Eltern und der Mobril-Konferenz? Wie hast du’s geplant?«
»Überall E-Kerzen im Wohnzimmer!«, schwärmte Jojo.
»Was gibt’s zum Essen?«
»Der Aroma-Lieferservice füllt den Teller auf.«
»Kameras für die Konferenz?«
»Alle vier. Für den öffentlichen Empfang alle gesperrt.«
»Das hast du noch nie!«
»Und Melli und ihre Eltern dürfen zoomen und machen, was sie wollen. So können sie mich von allen Seiten kennenlernen.«
Wir spazierten den See entlang zum Ausgang der Themenhalle. Der Hai leuchtete durch die Bullaugen des Fischkutters. Ein Vollmond spiegelte sich im dunklen Wasser. Das sah schon viel realistischer aus als der Sonnenuntergang. Kühle Luft blies von den Windkanälen auf uns hinab. Wir beeilten uns und stolperten über ein Paar. Die beiden hatten es sich unter einer Decke am Ufer bequem gemacht.
Im Metro-Gleiter fanden wir ein leeres Abteil, und ich packte das dünne Buch des Anglers aus. Der alte Mann und das Meer. Hemingway, den hatten wir schon Dutzende Male. Was keine Rolle spielte. »Alles scannen!«, sagte Nomos. Und wir scannten alles.
»Mobril. Scannen. Start.«
Ich richtete auf jede Doppelseite eine Sekunde lang die Kamera. Und blätterte von der ersten bis zur letzten Seite. Danach erstellte ich ein kurzes Protokoll. »Mobril. Aufzeichnung. Buch hat Unterstreichungen auf Seite neun und Seite 58. Keine weiteren Besonderheiten.«
Ein Kollege der Scan AG arbeitete unsere Aufzeichnungen ein. Bevor er das Buch sofort mit unseren Anmerkungen auf Ultranetz stellte. Für die Eile gab es laut dem Anfangs-Seminar der Scan AG ( Basics für Buchagenten ) einen wichtigen Grund: »Das Buch muss so schnell wie möglich auf Ultranetz verfügbar sein. So wächst das weltweite Archiv täglich.«
Die Bücher mussten wir immer am Folgetag in Nomos’ Büro abgeben. Keine Ahnung, warum. Aber wir
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