Die Scanner
Leser.
»Was wollen Sie für das Bündel Papier haben?«, fragte ich den alten Mann mit der grauen Weste.
Er blätterte in einem dünnen Büchlein und klappte es erschrocken zu. Ein gutes Zeichen, er hatte schwache Nerven. Ich setzte mich zu ihm und seiner Angelausrüstung. Die Rute steckte in einer Vorrichtung, die er an der Bank befestigt hatte.
Jojo baute sich vor uns auf. »Würde sagen, ich gebe Ihnen einen Zehner.«
Der Angler lächelte verlegen. »Das Buch ist unverkäuflich. Ein Erbstück.«
Letzteres glaubte ich ihm sofort, Ersteres nicht. Bis auf Arne hatten wir alle rumgekriegt.
Da Jojo öfter bei Nomos war, trug er immer das Bargeld bei sich. Ich war froh, dass ich nicht ständig auf die vielen Scheine aufpassen musste. Ich griff in Jojos Jackentasche, zog die 20 Hunderter heraus und verteilte sie auf dem Köder (Würmer und Heuschrecken aus Plastik).
»Das ist für das bisschen Papier«, sagte ich. »Für jedes weitere gedruckte Bündel erhalten Sie von uns 2500. Für jeden Namen eines Lesers, den Sie kennen und uns nennen, 1000.«
Ich zog die Uhr aus der Hosentasche, legte sie auf die Angelbox und sagte »Start«. Sie projizierte die Zahlen ein paar Meter vor uns über den See.
Jojo beugte sich vor den Angler. »Das ist unser letztes Angebot. Und es gilt exakt die nächsten zwei Minuten.«
Kurz war ich mir nicht sicher, ob unser Angebot reichen würde. Der Leser konnte sich immerhin eine teure Angelgenehmigung leisten. Auch wenn die Forellen nur aus ferngesteuertem Kunststoff bestanden, die man am Ausgang wieder abgeben musste.
Nach 15 Sekunden waren meine Bedenken beseitigt. Der Angler steckte wortlos die Scheine ein und überreichte mir das Buch.
»Mit Ihrer Hilfe wird das weltweite Ultranetz-Archiv noch umfassender. Vielen Dank«, sagte ich.
»Haben Sie zu Hause noch andere Bücher?«, fragte Jojo. »Kennen Sie einen Leser, den Sie uns nennen möchten?«
Der Angler setzte sich seine Mobril auf. »Mobril. Kontaktliste. Marco.« Noch bevor er uns Adresse und Name mitteilte, holte Jojo die zehn Hunderter für ihn heraus.
Jojo und ich feierten diesen tagelang ersehnten Erfolg in der Themengaststätte Fischkutter, ein paar Meter vom Ufer entfernt. Wir bekamen noch zwei Stehplätze an der Bar. Über uns hing ein Hai, der im Minutentakt die Farbe wechselte. Der Animator projizierte ein Korallenriff mit lila Fischen in den Raum. Wir hatten gerade 300 verdient. Für jeden 150. Miese Prämie, ich weiß. Aber immerhin.
Das Einzige, was wir uns leisten wollten, war die Fischsuppe ohne Fisch, dafür versprach die Speisekarte einen unverwechselbaren Lachs-Geschmack . Jojo und ich wollten sparen. Wir wussten nicht, wie das die nächste Zeit mit so wenigen Lesern weitergehen sollte.
Ich dachte an Fischkutter-Ladungen mit frischen Lebensmitteln, die ich mir mit dem Kopfgeld (500000!) hätte kaufen können. Ich prostete Jojo mit dem Suppenteller zu und weichte im heißen Wasser hellen Brotersatz auf.
»Warst du nun in der C-Zone bei dem alten Sack oder nicht?«, fragte Jojo mit vollem Mund.
»Was soll der Blödsinn?«, sagte ich übertrieben laut.
»Hast heute ziemlich viel komisches Zeug von der C-Zone und so erzählt, da darf ich doch mal nachfragen.«
»Das wäre mein Ende als Buchagent. Nomos würde mich rauswerfen. Ich müsste dann Grundschulkindern in der B-Zone für einen Hungerlohn Mobril-Sprech austreiben.«
Es gab kaum einen schlechter bezahlten Job für Uni-Absolventen. Eine alte Studienkollegin musste zwei Lehrerstellen annehmen, nur damit sie sich die A-Zonen-Miete leisten konnte.
»Schon gut«, sagte Jojo. »Mach mir halt Sorgen um dich. Okay?«
Jojo machte sich also Sorgen um mich. Auch das noch. Wenn er wüsste, mit wem ich meinen Vormittag verbracht hatte. Nicht nur mit Arne Bergmann. Sondern auch mit einer alten Buchagentin, einem erfolglosen Schriftsteller, meiner verschollenen Lieblingsprofessorin und wer weiß, wer noch alles in dem dunklen Loch gesessen hatte?
Als ich den lesenden Angler am See entdeckt hatte, hatte ich kurz ein ungutes Gefühl gehabt. Gehörte er zur Büchergilde? Wollten sie mich mit diesem Leser testen? Na, wenn schon, redete ich mir beim Suppenwasserlöffeln ein. Was war schon dabei? Schließlich hatte ich mich entschieden. Und zwar gegen Arne und seine Büchergilde. Ich würde sie nicht verraten. Wegen meiner Professorin. Das musste reichen.
Ich verstand immer noch nicht, was die von mir wollten. Und überhaupt, was sie vorhatten. Wenn die Scan AG
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