Die Scanner
Wort.
In der Technikkammer deaktivierte ich den Warnton mit zwei kräftigen Tritten gegen die Mobril-Haus-Basis.
Ich musste endlich in die C-Zone, ins Seniorenlager Ost-Hafen. In den geheimen Räumen irgendwo hinter dem Café waren die Leute, mit denen ich sprechen konnte, wenn ich nicht total verrückt werden wollte.
Um zwölf Uhr sollte laut Nomos irgendetwas passieren, von dem ich keine Ahnung hatte. Arne wusste sicher, was Ultranetz vorhatte. Obwohl ich stark daran zweifelte, ob er mir nur einen Bruchteil davon anvertrauen würde. Ein Versuch war es wert.
Jojo war tot.
Ich war nur noch die Hälfte.
Der Laden
Thomas empfing mich am anderen Ende der Leiter. Ich mochte den gemütlichen Alten inzwischen irgendwie.
»Genau richtig zur Abschiedsparty«, sagte er.
»Wieso Abschied?«
Thomas antwortete nicht. Er führte mich mit der Taschenlampe durch die dunklen Gänge ins Lager. Ich hatte mich an die Geheimniskrämerei der Büchergilde gewöhnt.
Ich erkannte den Raum nicht wieder. Etwa 30 Leute standen und saßen um einen gedeckten Tisch. Irgendwie schien jeder etwas mitgebracht zu haben. Ich überreichte Thomas die drei Schokoladentorten. Der Kellner, der mich dieses Mal ausgeschlafen im Seniorenlager Ost-Hafen empfangen hatte, wollte sie nicht annehmen. Er hatte mich gleich zu der Leiter in der Toilette geschickt.
Kerzen flackerten. Sie machten den kahlen Raum gemütlich. Fanni und meine alte Professorin sah ich nirgends. Ich war enttäuscht, Fanni hätte ich heute wirklich gebraucht. Sicher hätte sie ihre Hand auf meine gelegt. Auch wenn nur aus Mitleid. Sie wusste, was Jojo für mich bedeutet hatte.
Ich entdeckte Arne. Er diskutierte heftig mit zwei Typen in meinem Alter. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich so was wie Neid. Keiner drehte sich nach mir um. Alle waren in irgendein Gespräch vertieft. Natürlich blinkte keine Mobril. Und natürlich war ich der Einzige mit einer Glatze.
Thomas schaute mir ins Gesicht. »Dir ist nicht nach Party!«
Ich sagte nichts, und das reichte ihm als Antwort.
»Komm mal mit«, sagte er und hakte sich bei mir ein. Er führte mich zu einer Tür. Ich war ihm unendlich dankbar. Weder nach Gesellschaft noch nach einer Feier war mir zumute. Der einzige Grund, wieso ich überhaupt an diesem Abend noch zu Arne wollte, war diese Zwölf-Uhr-Sache. Und wegen einer Versöhnung mit Fanni natürlich.
Thomas führte mich in einen dunklen Nachbarraum. Er ließ mich alleine und schloss leise die Tür. Ich wartete und hörte die vielen unterschiedlichen Stimmen von nebenan. Ich atmete langsam tief ein.
Die Tür öffnete sich kurz. Ich drehte mich nicht um. Ich spürte einen Arm auf meiner Schulter. Fanni?
»Das mit Jojo tut mir unendlich leid«, sagte Arne.
Es war auch okay, seine Stimme zu hören.
»Vor zwei Stunden gab es die erste Meldung über das Schicksal deines Freundes auf Ultra-News«, sagte Arne.
»Was sagen sie?«
»Freundin geht fremd – junger Mann begeht Selbstmord.«
»Der Film von Melli war eineinhalb Jahre alt. Es gab ein Problem mit ihrer Mobril-Basis. Und Jojo würde nie …«
Ich stockte und weinte. Seitdem mir Arne im Metro-Gleiter begegnet war, heulte ich am laufenden Band.
»Darüber wird nie etwas auf Ultranetz stehen«, sagte Arne. »Kein kritisches Wort über Ultranetz, über die Mobril, über Techmix, über die Scan AG. So lauten die ungeschriebenen Gesetze des Konzerns.«
»Schon klar«, sagte ich, obwohl gar nichts klar war.
»Da ist noch etwas.«
Ich wollte es eigentlich nicht wissen. Ich wollte nur noch Fanni sehen, sie umarmen und weiter weinen.
»Laut Ultra-News arbeitete Jojo nicht nur als Buchagent für die Scan AG.«
»Sondern?«
»Er soll als Mitglied der Büchergilde den E-Anschlag vorbereitet haben.«
Sekunden vergingen.
»War er bei euch?«, fragte ich. Ich hielt mittlerweile alles für möglich.
»Wir haben keinen Anschlag ausgeführt. Und Jojo war nie bei uns.«
Ich starrte in die Dunkelheit. Die Schlagzeilen schwirrten durch meinen Kopf. Jojo, der Terrorist. Unglaublich. Sicher hatten Jojos Eltern sie schon gesehen. Die Armen fragten sich bestimmt, was da gerade über sie hereinbrach.
Die Ultra-News logen also einfach?
Keine Plattform fand mehr Besucher, wenn es um Nachrichten ging.
»Ultra-News hat mit ihren Gratisinformationen alle Magazine und Zeitungen abgelöst, die früher auf Papier erschienen waren«, hatte mir damals meine Professorin im Altwissen-Seminar erklärt. Das Thema stand nicht auf dem
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