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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Er hieß Sergej.
    »Sergej!« schnaufte ich verächtlich und zog meinen Kalganow hinter mir her, an der endlosen Reihe neunstöckiger Häuser vorbei.
    »Nicht so schnell, Röschen«, flehte er.
    »Bist du dir wenigstens bei der Straße sicher, du Tarantel?«
    Er blinzelte. Es schneite gerade, und die Schneeflocken blieben auf seinen schwarzen Wimpern hängen, die ich vor fünfundzwanzig Jahren einmal so geliebt hatte.
    »Ich glaube schon«, sagte er.
    »Glaubst du? Glaubst du nur? Weißt du es nicht genau?«
    »Ich weiß es doch nicht«, sagte er. »Ich weiß doch gar nichts. Was wollt ihr denn alle von mir. Ich kann doch gar nichts dafür.«
    Ich schlug ihn zwischen die Schulterblätter. Meine Faust versank im Leder seines teuren, zwei Jahre alten Lammfellmantels. Ich achtete darauf, dass er sich gut kleidete, er war ja schließlich mein Mann und hatte außerdem eine wichtige Position bei der Gewerkschaft. Ich ließ ihn stehen und lief voran. Dann holte er mich wieder ein, und ich hakte mich wieder bei ihm unter. Er war ein Misthaufen, aber einen anderen Mann hatte ich nun einmal nicht.
    Dann vergaß ich Kalganow augenblicklich, weil irgendwo ein Kind losweinte.»Hörst du? Hörst du? Ist sie das?«
    »Was?« Mein Mann blieb stehen und drehte den Kopf hin und her.
    »Da. Ein Kind weint.«
    Mein Mann lauschte. Ich hatte das Gefühl, seine Ohren unter der Fellmütze bewegten sich vor Anspannung.
    »Ich höre nichts«, sagte er.
    »Taube Nuss.«
    Wir liefen noch ein bisschen die Straße hoch und runter.
    Ich betrachtete die Häuser, die Balkone, die Fenster. Auf den Balkonen standen Skier und Schlitten. Aus den Fenstern hingen Tüten mit tiefgefrorenem Fleisch. Auf den Fensterbänken standen Topfpflanzen und saßen Katzen. Manche Balkone waren mit kaputten Möbeln, alten Schuhen und leeren Flaschen vollgestellt. Da waren Leute gerade eingezogen und hatten schon so einen Saustall gemacht. In den Blumenkästen hingen vertrocknete Blumen, die mit frischem Schnee bedeckt waren. Hier und da sah ich sogar noch einen alten Tannenbaum, an dem noch Lamettafäden klebten.
    Mein Mann schwor, dass Sulfia ihm ihre Hausnummer nicht gesagt hatte. Wahrscheinlich hatte sie schon vermutet, dass er nicht dichthalten würde.
    »Ich weiß nichts, Röschen, Pionierehrenwort«, sagte er.
    In dieser Straße, in diesen Neubauten lebten mehrere Tausend Menschen. Ich überlegte, wie lange es dauern würde, wenn ich in jedes Haus reingehen, an jeder Tür klingeln würde.
    Eine Frau tauchte auf, sie schob einen Buggy mit einer Rotznase darin. Ich kam nicht in Versuchung, dieses Kind mit Aminat zuverwechseln. Es war zu klein und hässlich.
    Die Nase meines Mannes rötete sich. Seine Augen begannen zu tränen. Es war sehr kalt, und er sah elend aus. Dass ausgerechnet ich so jemanden an meiner Seite haben musste. Immerhin beschwerte er sich nicht mehr.
    »Wir gehen nach Hause«, sagte ich.
    »Ehrlich?« Er freute sich wie ein Kind. Er hatte keine Ausdauer, und er wollte ins Warme, Tee trinken, Frikadellen fressen.
    »Wir gehen jetzt zurück zur Haltestelle, nur deinetwegen, du Natter«, sagte ich, drehte mich um und ging voran.
    Ich fuhr noch fünf Mal hin, allein. Ich lief die Straße auf und ab, zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten. Ich hielt Leute an, die aus den Häusern kamen, und fragte sie, ob sie Sulfia Kalganowa kannten. Kannten sie aber nicht. Ich fragte sie, ob sie eine mickrige tatarische Frau gesehen hatten mit einem schönen, kleinen Mädchen an der Hand. Hatte niemand gesehen.
    Drei Wochen später traf ich sie endlich.
    Sie waren zu zweit. Sulfia hielt mein kleines Mädchen an der Hand. Ich sah sofort, dass Aminat nicht gut angezogen war. Sie hatte keinen Schal, und die verrutschte Mütze setzte ihre Ohren der beißenden Kälte aus. Die schwarzen Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Die Nase war rot. Das Kind war garantiert erkältet, kein Wunder bei dieser Mutter.
    Ich ging ein paar Schritte zur Seite und versteckte mich hinter einer Mülltonne. Sulfia und Aminat liefen Hand in Hand an mir vorbei. Ich sah, wo sie abbogen und welchen Hauseingang sie betraten.Ich eilte hinterher. Ich hörte den Fahrstuhl hochfahren, lange, bis unters Dach, schließlich fiel sehr weit oben eine Tür ins Schloss.
    Es duftete sehr gut in diesem Hauseingang, weil das Haus noch neu war. Gerüche von Farbe und Chemie hingen in der Luft, sehr sauber, aber ich wusste, das würde nicht lange anhalten. Nach einem Jahr

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