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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Waisenheim gekommen, und dort gab es hauptsächlich Graupensuppe. Natürlich konnte ich trotzdem gut kochen, ich hatte es eben später allein gelernt. Aber es gab nie eine Großmutter, die mich in die kulinarischen Feinheiten unseres Volkes hätte einweihen können. Meine Großmutter Aminat hatte ich nie gesehen, nur gehört, dass sie eine sehr sture und stolze Frau gewesen sein musste. Es gab noch Kalganows Familie, die zum Teil auf dem Land lebte, aber was dort auf dem Tisch kam, verursachte bei mir einen starken Brechreiz, weil es so unhygienisch war.
    Ich beschloss zu improvisieren. In meinen Studentenzeiten hatte ich ein Zimmer im Wohnheim mit einer Usbekin und einer Baschkirin geteilt. Ich erinnerte mich an die beiden Mädchen und an die Sachen, die sie manchmal gekocht hatten. Dann hatte ich Ideen – und es sollte mir erst mal jemand nachweisen, dass es keine richtige tatarische Küche war.
    Ich hatte auf dem Markt Reis und Hammelfleisch gekauft und zu Hause Teig für Tschäck-Tschäck vorbereitet. Da klingelte unser Telefon. Kalganow ging seit Sulfias Verschwinden nicht mehr gern ans Telefon, aber ich schrie ihn an. Ich hatte die Hände voller Mehl. Er gehorchte.
    »Sojuschka ist dran!« rief er aus dem Flur. »Du musst kommen!«
    Ich hielt meine Hände unter den Wasserhahn und trocknete sie gründlich mit einem Handtuch ab. Dann nahm ich meinem Mann den Hörer aus den Händen. Mir war noch nicht ganz klar, wer dran war. Ich kam bei Sulfias ganzen neuen Namen nicht mit.
    »Ja?« sagte ich ins Telefon.
    »Ich komme nicht«, flüsterte der Hörer mit Sulfias Stimme.
    »Wie schade«, sagte ich. »Dann werde ich deinem Mann etwas für dich mitgeben.«
    » Wir kommen nicht«, Sulfias Stimme raschelte in meinem Gehörgang. »Ich kann nicht. Wir können nicht. Ich will nicht.«
    »Was heißt hier ›Ich will nicht‹?«
    »Nur über meine Leiche. Verzeih mir.« Sie schluchzte auf, und ich hielt den Hörer weg von meinem Ohr.
    Auf Sulfias Seite rauschten Autos vorbei. Sie rief offenbar aus einer Telefonzelle an.
    »Ist dein Mann zufällig in der Nähe?« fragte ich.
    »Nein!« rief sie. »Sprich nicht mit ihm!«
    »Pass mal auf, Tochter«, sagte ich. »Wir sind eine Familie. Wir wollen doch zivilisiert miteinander umgehen.«
    Sie legte auf.
    Ich lud Klavdia zum Essen ein, das wir jetzt übrig hatten. Wir hatten ja Berge davon, und Klavdia hatte mächtigen Appetit. Wir hoben unsere Gläser und stießen an. Früher oder später würden sie schon kommen, dachte ich.
    Ich rief am nächsten Tag meinen Schwiegersohn auf der Arbeit an. Er entschuldigte sich für Sulfias Verhalten. Er sagte, manchmal handele sie ganz schön irrational, da stehe er hilflos davor. Als sie erfahren habe, dass er meine Einladung zum Sonntagsessen angenommen hatte, da habe sie angefangen zu zittern und zu schluchzen. Dann sei sie aus der Wohnung gerannt.
    Ich wiederholte meinen Wunsch nach einem zivilisierten Umgang. Ich sagte, wir sind doch eine Familie. Ich sagte, ich verlasse mich auf ihn.
    Er sagte, er werde tun, was er kann.

[Menü]
    Keine Manieren
    Ich habe sie kaum wiedererkannt.
    Sie war immer noch mickrig. Aber sie hatte ein schönes, schwarzweiß gepunktetes Kleid an. Ein Kleid, das Frauen wie sie normalerweise nicht tragen. Eher Frauen wie ich.
    Sie hatte eine Wollmütze auf von der Art, wie sie alte Frauen aufsetzen, wenn sie an einer Bushaltestelle frieren. Sulfia zog sie aus, und ihre Haare fielen ihr auf die Schultern, lang, schwarz, gerade, waren sie jetzt etwa dichter geworden?
    »Ich grüße dich, Mama«, sagte Sulfia.
    Mein Schwiegersohn stand hinter ihr und hatte einen Strauß tiefgefrorener Nelken in der Hand, den er wahrscheinlich gerade in einer Unterführung gekauft hatte. Er lächelte stolz. Es war nicht einfach gewesen, und wir hatten gemeinsam Widerstände überwinden müssen, indem wir von zwei Seiten auf Sulfia eingewirkt hatten. Er hatte offenbar viel Einfluss auf meine Tochter. Ich glaube, es schmeichelte Sergej, einen wunderschönen Schwan wie mich zur Schwiegermutter zu haben, wo er doch so ein hässliches Entlein geheiratet hatte.
    Das Wichtigste aber war Aminat. Ich musste mich sehr beherrschen, um sie nicht sofort in meine Arme zu reißen und ihr wunderschönes kleines Gesicht zu küssen.
    »Tretet ein, meine Lieben«, sagte ich herzlich und nahm meinem Schwiegersohn den Blumenstrauß aus der Hand. »Nicht so schüchtern«, sagte ich, es sollte sich an Sulfia richten, die wie versteinert dastand. Aminat

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