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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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abzugeben, der in meiner Küche gedieh. Der Pilz produzierte ein sehr schmackhaftes, gesundes Getränk, das ähnlich wie Kwas schmeckte. Es war allerdings viel besser, denn der Kwas, den man auf der Straße kaufen konnte, war garantiert unhygienisch. Früher hatte ich ihn trotzdem gelegentlich für Kalganow und sogar für Aminat gekauft. Inzwischen lief ich erhobenen Kopfes an den kleinen Zisternen vorbei, die am Straßenrand standen und aus denen Verkäuferinnen in fleckigen Schürzen die gelbliche, schäumende Flüssigkeit abzapften, in Krüge oder Plastiktüten, in denen der Kwas aussah wie Urin. Ich lobte mir meinen Teepilz, den ich von einer Kollegin bekommen hatte. Man musste ihn nur regelmäßig mit Tee und Zucker füttern, und das Ergebnis war garantiert sauber.
    Mein Schwiegersohn tauchte erneut auf, diesmal trug er einen speckigen Bademantel. Mir war noch nicht ganz klar, was ich von ihm halten sollte. Er schenkte mir ein wenig kalten Tee ein, in dem noch Teeblätter schwammen, und füllte meine Tasse mit heißem Wasser auf. Dabei erkundigte er sich, ob es meinem Herzen besser ging und wie es in der Kur gewesen war.
    Da verstand ich alles.
    Sulfia, der kleine Mistkäfer, hatte mich verschwiegen. Sie hatte mich beseitigt, indem sie mir Krankheiten und diverse Aufenthalte andichtete. Das war sicher keine Lösung, die von Weitsicht sprach.
    Mein Herz schlug regelmäßig, langsam und stabil, und das schon seit vielen Jahren. Krank waren meist die anderen. Aber ich entschied mich dafür, Sulfias faules Spiel mitzuspielen.
    »Es geht wieder besser«, sagte ich. »Und hat Ihnen das Heiraten Spaß gemacht?«
    »Oh ja, sehr«, sagte mein Schwiegersohn mit glänzenden Augen. »Wissen Sie, wir sind gerade sehr glücklich. Seit die kleine Anja endlich bei uns lebt, ist Soja richtig aufgeblüht. Es ist so wunderbar von Ihnen, dass Sie meine Frau in schweren Zeiten unterstützt haben, aber ich habe gleich gespürt, sie will es alleine schaffen. Sie wollte unser Kind bei uns haben. Jede normale Mutter will doch ihr Kind bei sich haben, nicht wahr?«
    Ich atmete ein und aus. Seit wann war meine Aminat unser Kind ? Seit wann war Sulfia eine normale Mutter ?
    »Aber Anja vermisst ihre Oma sehr«, teilte mir mein Schwiegersohn mit. »Neulich gab es im Kindergarten Pralinen, weil ein Kind Geburtstag hatte. Anja hat ihre Praline heimgebracht und gesagt, man soll sie in drei Teile schneiden. Für sie, für Soja und für Oma. Sie wollte das Stückchen für die Oma aufbewahren. Das haben wir natürlich nicht gemacht. Waren ja auch nur ein paar Krümel.«
    »Soja?« fragte ich erstaunt. Er hatte den Namen ja schon erwähnt, ich hatte bloß nicht ganz verstanden, wen er meinte.
    »Ja, Soja, meine Frau.«
    »Ach so«, sagte ich. Jetzt also Soja.
    Sie hatten nicht zwei, sie hatten drei Zimmer. Für sich allein. Obwohl sie zu dritt waren. Wir waren doch nicht im Ausland. Wer hatte bei uns eine Dreizimmerwohnung für drei Leute? Nicht einmal Kalganow als Gewerkschaftsvorsitzender.Da war er aber auch wirklich selber schuld: Er wollte nicht, dass es uns besser ging als anderen, und tat viel zu wenig, um uns das Leben zu erleichtern. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er wahrscheinlich immer noch in einem Mehrbettzimmer im Wohnheim gehaust.
    Ich sah meinen Schwiegersohn aufmerksam an. Wie hatte Sulfia so einen an Land ziehen können? Hatte sie ihm im Krankenhaus etwas in die Infusionsflasche gemischt?
    »Als ich aus der Narkose aufwachte und Soja sah, dachte ich, sie ist ein Engel«, beantwortete mein Schwiegersohn meine stumme Frage. Er hob den Schoß seines Bademantels und führte mir ein Bein vor, auf dem zwischen krausen Haaren frische schweinchenfarbene Narben glänzten.
    »Verstehe«, sagte ich und war froh, als er seine Extremitäten wieder bedeckte.
    »Kommen Sie uns am Sonntag besuchen«, sagte ich. »Ich lade Sie zum Essen ein, die ganze Familie, alle drei. Ich koche sehr gut. Wir sind Tataren, wissen Sie?«
    Mein Schwiegersohn blinzelte. »Aha. Sehr gern.«
    Die Sonne hing an seinen weizenfarbenen Wimpern.
    Am Sonntag kamen sie nicht. Ich war gerade dabei, das Essen vorzubereiten. Ich hatte lange überlegt, was ich kochen sollte. Am besten ein tatarisches Nationalgericht, das mein Schwiegersohn noch nie probiert hatte. Das Problem war, ich selber war ganz ohne die tatarische Küche aufgewachsen. Nach dem heldenhaften Tod meiner Eltern 1945, im letzten Jahr des Zweiten Vaterländischen Krieges, war ich mit meinemBruder in ein

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