Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
Allerdings hatte ich nicht mit Herrenbesuch gerechnet und mich nicht geschminkt, bevor ich mich hingelegt hatte (Dieter hielt ich schon lange nicht mehr für einen Mann). Deswegen behielt ich meine ursprüngliche Position, damit John mein nacktes Gesicht nicht sehen konnte, nur den langen Zopf, den ich vor dem Hinlegen geflochten hatte.
    Er rüttelte mich unsanft an der Schulter und fragte, ob ich krank sei. Dafür, dass wir uns so lange nicht gesehen hatten, verhielt er sich sehr familiär. Obwohl ich mich sperrte, schaffte er es, mich auf den Rücken zu drehen. Daraufhin bekam er einen Schock.
    »Sie ist ja leichenblass«, rief er Dieter zu. John hatte mich eben noch nie ohne gekonnt aufgetragenes Rouge gesehen.Dieter erstattete ungefragt Bericht, dass ich schon seit zwei Wochen ausschließlich im Zimmer war, ohne Nahrung oder Flüssigkeit zu mir zu nehmen, vorausgesetzt natürlich, ich hätte mich in seiner seltenen Abwesenheit nicht doch heimlich in die Küche geschlichen (Frechheit!).
    John rüttelte an mir, als wäre ich ein Kissen, das er ausschütteln wollte. Ich stöhnte, das Elend meiner Situation drang mir schmerzhaft ins Bewusstsein. Den Eindruck, den er gerade von mir gewann, würde ich sicher mein Leben lang nicht wieder geraderücken können (wobei ich kurz vergaß, dass mein Leben gerade zu Ende ging). Musste er ausgerechnet jetzt auftauchen, konnte er mich nicht einfach als die strahlende Rosalinda, die ich einmal gewesen war, in Erinnerung behalten?
    John verschwand im Flur, wofür ich ihm sehr dankbar war. Da wusste ich noch nicht, dass er den Rettungswagen gerufen hatte, der mich mit Blaulicht und Martinshorn auf die Intensivstation der städtischen Kliniken transportierte.
    Ich war die schönste Patientin auf der Intensivstation und auch die lauteste. Es langweilte mich, verkabelt im Bett zu liegen: Die Maßnahme war übertrieben. Ich musste zur Toilette und klingelte nach einer Krankenschwester im lila Kittel. Sie brachte mir eine Bettpfanne, ich schrie sie an, ich war doch kein Kleinkind. Sie sah mich erstaunt an. Auf der Intensivstation wurde sonst nicht geschrien, höchstens geröchelt: Ich kannte mich aus, ich hatte ja mal in einem Krankenhaus gearbeitet. Die Krankenschwester sprach sehr langsam mit mir, in kurzen Sätzen, jedes Wort zweimal, als wäre ich geistig behindert.
    Zwei Tage später wurde ich auf die normale Station verlegt, ich ging selber, während ein schlecht rasierter Krankenpflegehelfer meine Sachen in einem Rollstuhl hinterherschob. Ich legte mich ins Bett, hier gab es zum Glück einen Fernseher. Ich wollte die Nachrichten sehen – vielleicht kam ja Aminat drin vor, ich war überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden. Dann wollte ich das Gespräch mit dem Arzt abwarten und Dieter anrufen, damit er mich abholte.
    Es kam eine junge Ärztin, eine Asiatin mit glattem schwarzem Haar. Sie war sehr jung, vielleicht sogar jünger, als Aminat inzwischen sein musste, und ihr weißer Kittel stand ihr ausgezeichnet. Sie trug ihr Stethoskop um den Hals, elegant wie eine Federboa. Auf ihrer Brusttasche standen ein paar Silben, die wie Vogelgezwitscher klangen. Eine Chinesin war das.
    Ich seufzte, weil diese Chinesin nicht meine Enkelin war. Sie sah so fleißig aus, es war klar, dass sie bald eine eigene Praxis haben würde: Chinesen erreichten immer, was sie wollten.
    Und jetzt sagte sie mir auch noch, ich müsste dableiben, weil meine Nieren dabei waren zu versagen. Ich lachte laut und tippte mir mit dem Finger gegen die Stirn. Da musste sie wohl doch noch ein bisschen nachsitzen, die Chinesin. Meiner Aminat wären solche Fehler sicher nicht passiert.
    Ich sagte, ich wollte heute Abend gehen, spätestens morgen. Die im weißen Kittel rollte ihre Schlitzaugen. Sie erinnerten mich ein wenig an Aminats Mandelaugen. Meine Laune wurde schlechter.
    Die Anfängerin zog ab und nahm die Ergebnisse meines Bluttests wieder mit. Ich schaltete den Fernseher ein. Im anderen Bett lag eineGreisin und röchelte. Ich drehte den Ton lauter, damit sie auch was hörte, und vor allem, damit es ihr Röcheln übertönte. Ich sah immer wieder zu ihr hin, irgendjemand sollte sie aufrichten, dachte ich, damit sie besser Luft kriegt. Ich wollte schon nach einer Schwester rufen, da hörte ich eine Stimme aus dem Fernseher und vergaß die Greisin.
    Auf dem Fernsehbildschirm war Aminat. Erst war ich überrascht, dann schockiert, schließlich beschämt. Aminat war im Fernsehen – das war mehr, als ich mir je hätte

Weitere Kostenlose Bücher