Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
Krankenhaus gegen den ärztlichen Rat verließ.
    Ich hatte bei Dieter angerufen und verlangt, er solle mich abholen. Er klang so schwach am Telefon, als käme er gerade von der Intensivstation und nicht ich.
    Ich ging zum kleinen Waschbecken in der Ecke des Raums und besah mich im Spiegel. Holte meine Tasche hervor und begann, mein Gesicht in Ordnung zu bringen. Die bleichen Zeiten waren vorbei. Im Krankenbett hatte ich nur etwas Mascara und Lippenstift aufgetragen, nun zog ich alle Register, als hätte mir jemand zugeflüstert, dass sich gleich die Tür öffnen und nicht Dieter, sondern John auf der Schwelle stehen würde.
    Er war wirklich da, dieser große Mann mit sehr gerader Haltung und grauen Haaren, ein echter britischer Gentleman. Ich war verlegen wie ein junges Mädchen.
    »Wo ist Dieter?« fragte ich, und John zuckte mit den Schultern. Er trug meine drei Reisetaschen über den Krankenhausflur, ich eilte auf hohen Absätzen hinterher, und die Krankenschwestern reckten die Köpfe. Ich sah zum ersten Mal, welches Auto John fuhr. Einen alten sandfarbenen Mercedes. Ein Auto, das zu ihm passte. Er hielt mir die Tür auf.
    »Wo fahren wir hin?« fragte ich, als er an der dritten Kreuzung in Folge so abbog, dass ich aus der Fahrstrecke nicht mehr schlau wurde.
    »Nach Hause«, sagte er.
    »Ach so«, sagte ich, und erst als er meine Reisetaschen ins Haus trug, begriff ich, dass er sein Zuhause gemeint hatte.

[Menü]
    Meine ist die Schönste
    Ich fragte mich nicht, ob John ehrenhafte Absichten hatte. Mir war es egal. Ich hatte lange nicht mehr gearbeitet, ich hatte kein Geld mehr, und John hatte einen Fernseher direkt im Schlafzimmer, in dem ich jetzt lebte. Ich schaltete ihn ein und suchte auf allen Kanälen die Sendung mit Aminat. Zwischendrin kam John rein und maß mir den Blutdruck und brachte einen Tee.
    Sulfia saß am Bettrand und lächelte. Aminat sang im Fernsehen, die schöne Frau mit dem langen glänzenden Haar sagte ihr, sie sollte sich anders anziehen. Aminat hörte ihr mit gerunzelter Stirn zu, ich klatschte in die Hände: Genau das hatte ich Aminat auch schon immer gesagt. Aber Aminat schüttelte den Kopf, dummes Mädchen, sie hörte auf niemanden.
    John kam gerade rein, mit einer Tasse grünem Tee auf einem Silbertablett. Ich guckte ihn über meinen Brillenrand an, ich trug jetzt öfter eine Brille.
    »Was schauen Sie da für einen Quatsch?« fragte John.
    »Das«, sagte ich stolz, »ist meine Enkelin.«
    John setzte sich – nicht an meinen Bettrand, sondern in einen Sessel, der in der Ecke stand. Ich begann zu ahnen, dass ich wohl das Schlafzimmer seiner toten Frau bezogen hatte. Ich lag in einem Himmelbett auf cremefarbener Bettwäsche, die Möbel hatten geschwungene Beine und alle Polster pastellfarbene Blumenmuster.
    »Das ist Aminat«, sagte ich. »Sie ist sehr begabt.«
    Sie war jetzt ganz schön oft im Fernsehen. John sah stumm auf den Bildschirm. Er wusste nichts von alldem – wie ich Aminat aufgezogen hatte, wie viel Mühe ich mir gegeben hatte, wie sie sich immer wieder meinem gutenWillen entrissen hatte, wie sie mir schließlich weggelaufen war. Er wusste gar nichts über mich, und ich hatte keine Lust, ihm davon zu erzählen.
    »Schönes Mädchen«, sagte John. »Nur viel zu dünn. Aber die Stimme ist unglaublich.«
    »Finden Sie?« fragte ich.
    Er hatte keine Kinder und keine Enkel. Ich fand es galant von ihm, dass er die Sendung, in der Aminat mit den Noten kämpfte, mit mir zusammen anschaute und nichts weiter dazu sagte, auch nicht am nächsten und übernächsten Tag.
    Plötzlich hatte ich alles, was ich brauchte, ohne dafür kämpfen zu müssen. Das war ein ungewohntes Gefühl. Ich brauchte morgens keinen Wecker, ich konnte ausschlafen. Ich musste kein Frühstück machen, darum kümmerte sich John. Er kaufte auch ein. Es stellte sich heraus, dass er kochen konnte. Zwar einfache Gerichte aus der italienischen Küche, aber sie schmeckten gut. Er servierte das Essen im Wohnzimmer und hinterher räumte er alles selber auf. Ich betrat die Küche nicht. Ich war hauptsächlich in meinem Schlafzimmer, gelegentlich unten im Wohnzimmer (am Esstisch und im Sessel) und auch sehr gern im Garten. Johns Haus hatte einen prächtigen Garten: riesig, mit Rosenstöcken ums Haus, einem sanft abfallenden Hang und Obstbäumen, die bereits Früchte trugen.
    »Warum pflanzen Sie kein Gemüse?« fragte ich.
    »Das kann ich nicht«, sagte John. Ich zog mir die strassbestickten Hausschuhe mit den hohen

Weitere Kostenlose Bücher