Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
will. Er polierte seine Brille mit einem Tuch und druckste herum. Dann sagte er, er könne nichts versprechen, wolle sich aber dafür einsetzen, dass ich als Putzfrau auf der Station arbeiten könnte, auf der er Belegbetten hatte.
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Meine Frauen
Es war eine gemischte Frauenstation, und man musste sehr früh anfangen. Das war mir recht, denn Aminat ging nicht mehr in die Schule, und sonst hätte ich mich jeden Morgen und dann den ganzen Vormittag darüber aufgeregt. So war ich aber durch die Arbeit abgelenkt. Es gab wenig Geld, dafür eine Festanstellung. Meine erste in Deutschland.
Ich unterschrieb einen Vertrag, bekam einen weißen Kittel, weiße Hausschuhe musste ich mir mitbringen. Ich war sehr stolz: Nun war ich Angestellte eines Krankenhauses.
In manchen Zimmern lagen drei Frauen, in anderen jeweils nur eine. Ich putzte schnell und brillant, und während meine Hände die Arbeit machten, fragte ich die Frauen in ihren Betten, was ihnen nun fehlte. Einige antworteten mir gar nicht. Aber ein paar erzählten. Es gab welche, die Myome hatten, noch andere hatten Zysten, einige wollten unbedingt ein Kind, und einige waren schwanger und mussten im Krankenhaus liegen, um das Kind nicht zu verlieren.
Bald kannte ich sie alle, die gesprächigen und die stummen, und da ich sehr schnell arbeitete und auch im Besprechungszimmer der Krankenschwestern putzte, sah ich mir die Unterlagen aller Patientinnen an, die in großen schwarzen Mappen in einem Rollcontainer untergebracht waren. Da wusste ich, wie alle Frauen hießen, wann sie Geburtstag hatten und wo sie wohnten – manche Adressen kamen mir bekannt vor, weil ich in der Nähe schon geputzt hatte.
Ich las die Krankengeschichten, obwohl die Schrift kaum zu entziffern war. Ich guckte in den Medikamentenschrank, sah nach, wer wie viel wovon bekommen hatte, und merkte mir das alles. Ich hatte ein klares Gedächtnis und einen wachen Verstand. Ich blieb den ganzen Vormittag im Krankenhaus. Nach dem ersten Durchgang durch alle Zimmer wurde ich losgeschickt, um Betten neu zu beziehen oder irgendwelche Schweinereien zu beseitigen, die sich im Laufe des Vormittags ergeben hatten. Ich schob auch schon mal Patientinnen in den OP, wenn die Krankenschwestern keine Zeit hatten. Einige von ihnen hatten Angst vor der Operation. Ich sagte ihnen, dass alles gut gehen würde, und da ich genau wusste, was welcher fehlte, konnte ich auch genau sagen, was bei jeder persönlich gut werden würde.
Nach drei Wochen fühlte ich mich im Krankenhaus wie zu Hause.
Ich stellte meine Pläne, an eine medizinische Universität zu gehen, zurück. Es gab auch hier genug zu lernen.Ich konnte die Schriften der Ärzte und Krankenschwestern, die die Patientenakten ausfüllten, immer besser entziffern, und ich wusste genau, wo welches Medikament lag. Dann passierte es das erste Mal, dass eine frisch operierte Frau wegen Schmerzen stöhnte und ich niemanden auf der Station finden konnte, der ihr hätte helfen können. Also holte ich das richtige Fläschchen und füllte den Inhalt in die Infusionsflasche, so wie ich es oft gesehen hatte. Danach hörte die Frau auf zu stöhnen. Ich beobachtete sie eine Zeit lang, um sicherzugehen, dass ich mich nicht geirrt hatte und die Frau nicht gestorben war. Einen halben Tag später wurde sie von ihrem Mann abgeholt und ging davon, auf seinen Arm gestützt.
Zu Hause unterhielt ich mich mit Dieter über die Krankengeschichten der Frauen auf meiner Station. Ich sprach von »meiner Station« und bald auch von »meinen Frauen«. Manchmal kam Aminat dazu und lümmelte sich in einen Sessel. Sie begann wieder zu duschen, bügelte ihre T-Shirts und ging zum Friseur. Ich ignorierte sie weiterhin. Sie ging wieder aus dem Haus. Sie sagte nicht, wo sie gewesen war, und ich fragte sie nicht. Ich ignorierte sie. Sie nahm ihr Biologiebuch wieder in die Hand. Ich kümmerte mich um meinen eigenen Kram. Ich hatte mir aus dem Ärztezimmer ein Lehrbuch genommen und las es zu Hause durch. Einmal fiel mir auf, dass auch Aminat dieses Buch durchblätterte. Ich ließ sie. Vielleicht würde sie ja doch noch eine berühmte Ärztin werden.
Als ich das Gefühl hatte, ihr Leben würde eine Richtung annehmen, die nicht in die Gosse führte, verschwand Aminat und mit ihr zusammen eine größere Summe Bargeld aus meiner Schublade, die ich für ihr Medizinstudium gespart hatte.
Dieter wollte zur Polizei gehen und sie als vermisst melden. Sulfia hinderte mich daran, und ich hinderte Dieter. Ich
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