Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
Erheiterung.
»Gute Frau, wir heißen alle Kramer!« Ein sehr dicker Mann in Feinrippunterhemd und Hosenträgern prostete mir zu.
Oje … Das würde schwierig werden.
Ich war bei Familie Kramer, weil ich vom Gericht beauftragt worden war, festzustellen, ob die Eltern der Kinder Jasmin und Jason erziehungsfähig sind. Falls nicht, sollte ich schauen, ob die Kinder dennoch mit einer Familienhilfe oder Ähnlichem weiterhin im Haushalt der Eltern bleiben können oder ob sie in Obhut genommen werden müssen.
Herr Kramer, der Vater, hatte noch vier weitere Kinder, von denen zwei bei ihren Müttern lebten und zwei schon erwachsen waren und eigene Familien hatten. Frau Kramer war Mutter von insgesamt acht Kindern, wovon Jasmin und Jason die beiden jüngsten waren und als einzige Herrn Kramer zum Vater hatten. Die anderen sechs Kinder lebten laut Gerichtsakte teilweise in Pflegefamilien, teilweise in eigenen Haushalten, weil sie schon volljährig waren, und eines der Kinder wohnte bei seinem leiblichen Vater. Die Familie war schon seit vielen Jahren beim Jugendamt bekannt, weil es in mehreren Generationen und Familienzweigen immer wieder zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der Vernachlässigung von Kindern gekommen war – teilweise mit Verurteilungen und der Herausnahme einiger Kinder aus den entsprechenden Familien.
Meine Aufgabe bestand nun offenbar zunächst einmal darin, den Eltern zu erklären, dass ich mit ihnen alleine sprechen wolle, weil die Inhalte des Gespräches voraussichtlich recht privat werden könnten und auch keinesfalls für die Ohren der herumspringenden Kinder geeignet seien. Diese Erklärung leuchtete Herrn und Frau Kramer (und auch allen weiteren Anwesenden) ganz offensichtlich keineswegs ein, da ich aber nun einmal »die Frau vom Gericht« war, erklärten sie sich schließlich dennoch dazu bereit, mit mir alleine zu sprechen und den Besuch wegzuschicken. Dies war wohl nicht üblich, denn die Reaktionen reichten von »Wir sollen
wirklich
gehen? Jetzt?« über »Das ist doch Quatsch. Wir hören einfach weg« bis hin zu beharrlichem Schweigen, auf dem Sofa sitzen bleiben und dabei den Fernseher lauter stellen. Es dauerte zwanzig Minuten, bis tatsächlich alle Personen bis auf die Eltern die Wohnung verlassen hatten und ich mit dem Gespräch beginnen konnte.
Auf meine Eingangsfrage, wer diese Personen denn gewesen seien, wurde mir erklärt, dies sei »alles Verwandtschaft«. Meine Nachfrage ergab, dass die Verwandtschaftsverhältnisse durchaus kompliziert waren. Herr und Frau Kramer hatten teilweise unterschiedliche Auffassungen darüber, wer denn nun tatsächlich mit wem verwandt oder wer mit wem »zusammen« sei und wer bei wem wohne.
Frau Kramers Onkel war der Vater ihres ersten und dritten Kindes, Jasmins und Jasons Cousins waren gleichzeitig ihre Halbbrüder. Herr Kramer kommentierte dies so: »Wissen Sie, das ist ja eigentlich ganz praktisch, wenn das alles so in der Familie bleibt. Wenn Sie verstehen, was ich meine …« Ich verstand nicht, notierte mir aber, dass ich Herrn Kramer auf diesen Kommentar noch einmal ansprechen sollte.
Die Stiefmutter des vierten Kindes der Mutter war die älteste Tochter von Jasmins und Jasons Vaters. (Atmen Sie durch und lesen Sie diesen Satz noch einmal. Es ist im Grunde ganz einfach. Nur eben ungewöhnlich …)
Ich begann zu bereuen, dass ich mich nach den Familienverhältnissen erkundigt hatte, denn auch die weiteren Informationen, die ich erhielt, waren verwirrend bis grotesk.
Die zwanzigjährige Tochter der Nichte des Vaters, Jessica, hatte kurzzeitig eine Beziehung mit ihrem fünf Jahre jüngeren Cousin begonnen, diese aber wegen des Betreibers der Spielothek, in der sie ihre Nachmittage verbrachte, wieder beendet. Sie war derzeit mit ihrem ersten Kind schwanger, wie Herr und Frau Kramer am Abend zuvor erfahren hatten. Nun war unklar, wer der Vater des Kindes war. Jessica hatte behauptet, dass als Vater nur der Spielothekenbetreiber oder aber Herr Kramer in Frage kämen, was Herr Kramer vehement bestritt. Frau Kramer wusste nicht recht, was sie glauben solle, traute eigenem Bekunden nach ihrem Mann aber durchaus zu, mit Jessica ein Verhältnis gehabt zu haben, was wiederum Herrn Kramer dazu veranlasste, seiner Frau vorzuwerfen, sich ja auch ständig »vom Herrmann und vom Dietmar und allen betatschen und vögeln« zu lassen. Es entstand ein Streit darüber, wer wen mit wem warum und unter Einfluss von wie viel Alkohol betrogen
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