Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
Bestrafungsrituale ausgedacht für den Fall, dass ein Kind nicht auf sie höre.
Was er daraufhin getan habe, um seine Kinder zu schützen, wusste Herr Ibrahim nicht mehr.
»Ich kann mich ja an nichts erinnern … Aber ich weiß, dass ich alles für meine Kinder getan habe. Ich bin ein guter Vater. Meine Kinder sind alles für mich.«
»Aber haben Sie denn dazu nichts in Ihrem Tagebuch stehen?«
»Nein, da steht nur, was sie gemacht hat. Das habe ich alles ganz genau aufgeschrieben. Ich habe wohl gefühlt, dass ich das irgendwann einmal brauchen werde. Sie hat ihre Kinder nie geliebt. Nie. Immer war da nur Hass. Ganz viel Hass. Den Kleinen hätte sie nach der Geburt am liebsten im Krankenhaus gelassen. Ihre Familie und die Nachbarn haben auch immer gesagt, dass sie eine schlechte Mutter ist. Und ein schlechter Mensch. Niemand mochte die. Niemand. Die ist nach der Geburt von dem zweiten Kind komplett verrückt geworden und hat sich von mir getrennt. Aber vorher war die auch schon nicht ganz normal. Sie hat mich immer schlecht behandelt. Geschlagen hat sie mich, mit Sachen nach mir geworfen, mich auf den Balkon gesperrt und ständig betrogen … und dann hat sie dauernd Stimmen gehört und sich vollkommen verrückt benommen.«
Auf mich wirkte es, als hätte Frau Aheim laut Herrn Ibrahims Beschreibungen schon vor der Geburt des Sohnes deutliche Anzeichen einer psychischen Störung gezeigt. Offenbar bestand das »komplette Verrücktwerden« für ihn darin, dass sie sich von ihm getrennt hatte.
Es war erstaunlich, wie ausführlich und detailreich Herr Ibrahim über Frau Aheim sprechen konnte. Hier schien er keinerlei Erinnerungslücken zu haben.
»Und an all das können Sie sich erinnern?«
»An was?«
»An das, was Sie mir gerade über Ihre Frau erzählt haben.«
»Ach, das … Das habe ich alles aufgeschrieben. In mein Tagebuch.«
»Und an Aufgeschriebenes können Sie sich erinnern?«
»Weiß ich nicht.«
»In Ordnung. Herr Ibrahim, wie ist denn die aktuelle Situation? Haben Sie Kontakt zu Ihren Kindern?«
»Nein.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Das war vor vier Jahren. Im Sommer. Im Park.«
»Das heißt, bis vor vier Jahren hatten Sie regelmäßig Kontakt zu Ihren Kindern?«
»Nein.«
»Bis wann haben Sie sie denn regelmäßig gesehen?«
»Wen?«
»Ihre Kinder.«
»Was ist mit meinen Kindern?«
Das Gespräch wurde zunehmend absurder und wenig zielführend.
»Herr Ibrahim, wissen Sie, wer ich bin und warum ich hier bin?«
»Ja, natürlich. Warum fragen Sie mich das denn dauernd?« Herr Ibrahim sah mich irritiert an. »Sie sind da wegen meinen Kindern. Weil ich die wieder sehen will und die Mutter das verhindern will. Deswegen. Der Richter hat gesagt, Sie sollen schauen, was man tun kann.« Er beugte seinen Oberkörper mehrmals vor und zurück und lachte.
»Das stimmt so in etwa. Ich würde jetzt gerne mit Ihnen über Ihre Kinder und Ihren Kontakt zu ihnen sprechen.«
»Da ist alles toll. Meine Kinder lieben mich, und ich liebe meine Kinder. Wir haben einen sehr, sehr guten Kontakt. Das ist eine ganz große Liebe.«
»Haben Sie Ihre Kinder nach der Trennung von Ihrer Frau regelmäßig gesehen?«
»Nein.«
»Können Sie mir bitte beschreiben, wie der Kontakt aussah?«
»Nein.«
»Nicht?«
»Nein.«
»Können Sie sich nicht erinnern?«
»An was?«
Einatmen … Ausatmen …
Ein … aus …
Ein … aus …
»Herr Ibrahim, ich möchte gerne etwas über Ihr Verhältnis zu Ihren Kindern …«
Er unterbrach mich, riss die Arme nach oben, lachte und rief: »Meine Kinder! Meine Kinder und ich! Meine Kinder und ich, wir sind eine Einheit aus LIEBE ! Meine Kinder sind alles für mich! Und ich bin alles für sie! So ist das! LIEBE ! Verstehen Sie? LIEBE !« Herr Ibrahim lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schloss die Augen.
Ich wartete.
Nach geschlagenen drei Minuten in vollkommener Stille überlegte ich, ob er eingeschlafen war.
Ich gebe zu, dass mich das Verhalten dieses Mannes zunehmend verunsicherte. Ich hatte keinerlei Vorinformationen zu ihm bekommen und wusste in dieser Situation nicht, was ich von ihm halten sollte. Litt er wirklich »nur« unter Amnesie oder vielleicht an etwas ganz anderem?
Litt er
überhaupt
unter Amnesie?
Und … Lebte er noch?
»Herr Ibrahim …?«
Er öffnete die Augen, schaute mich freundlich an und sagte »Halloooo …!«.
Himmel … Musste ich jetzt womöglich wieder ganz von vorne beginnen?
»Herr Ibrahim,
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