Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
wissen Sie, wer ich bin?«
»Ja, sicher! Jetzt hören Sie doch mal auf, mich das zu fragen! Was haben Sie denn für ein Problem?« Er funkelte mich böse an und verzog sein Gesicht zu einer Fratze, die wirklich furchterregend aussah. Ein paar Sekunden später lächelte er, wiegte den Kopf hin und her und säuselte: »Sie sind die Frau, die das Gericht geschickt hat. Erinnern Sie sich?« Er lachte und schloss die Augen wieder.
»Gut. Herr Ibrahim …?«
»Ja …?« Er öffnete die Augen.
»Könnten Sie mir sagen, wann Sie nach der Trennung von Ihrer Frau Kontakt zu Ihren Kindern hatten?«
»Ja.«
Herr Ibrahim sah mich an.
Ich wartete.
Nichts.
Meine Güte …
»Wann hatten Sie denn Kontakt zu Ihren Kindern?«
»Vor vier Jahren. Im Sommer. Im Park.«
»Ja, das war das letzte Mal, dass Sie Ihre Kinder gesehen haben. Das hatten Sie mir vorhin schon gesagt. Aber wie war das vorher? Haben Sie sie regelmäßig gesehen, gab es Kontakte über Nacht oder nur Treffen im Park?«
»Na, vor vier Jahren im Park. Das habe ich doch gesagt.«
»Ja, das war der eine Kontakt. Der, bei dem Sie Ihre Kinder das letzte Mal gesehen haben. Und wo haben Sie Ihre Kinder vorher getroffen?«
»Gar nicht.« Herr Ibrahim lachte. Nein. Er kicherte.
Normalerweise hätte ich mit Herrn Ibrahim über das immer wiederkehrende irritierende und unpassende Lachen oder Kichern gesprochen, aber ich hatte das Gefühl, dass damit dieses ohnehin schon recht bizarre Gespräch komplett richtungslos werden würde.
Ich ignorierte also Herrn Ibrahims absurdes Verhalten und fasste zusammen, was ich bisher verstanden hatte: »Verstehe ich Sie richtig? Die Trennung von Frau Aheim fand statt, kurz nachdem Ihr Sohn zur Welt gekommen war. Vor neun Jahren. Und seitdem haben Sie Ihre Kinder einmal im Park getroffen. Vor vier Jahren.«
»Genau.«
Herr Ibrahim beugte sich weit nach vorne und flüsterte verschwörerisch: »Das war der allerallerschönste Tag im Leben meiner Kinder! Aber das darf die Mutter nicht erfahren, sonst bringt die die Kinder um.«
Er lehnte sich wieder zurück, lachte und sagte: »Hallo, wie geht es Ihnen?«
Nach diesem Termin saß ich erst einmal ein paar Minuten im Auto und tat nichts. Ich schloss die Augen und versuchte, die vielen Eindrücke, die in meinem Kopf verwirrt hin und her huschten, zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. Herr Ibrahim war mir so merkwürdig erschienen, dass ich es für sinnvoll hielt, ihn zunächst einmal psychiatrisch begutachten zu lassen. An seine Amnesie glaubte ich nicht so recht, aber die schien mir auch nicht das Hauptproblem zu sein.
Ich rief die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes an. Frau Ehring war eine kompetente Frau, mit der ich seit vielen Jahren in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu tun hatte. Ich arbeitete gern mit ihr zusammen, denn zu Kompetenz und Erfahrung kamen bei ihr Humor, Mut und Einfallsreichtum. All das sind Eigenschaften, die zwar nicht zwingend erforderlich sind, meiner Ansicht nach helfen sie aber sehr dabei, beim Jugendamt eine gute Arbeit machen zu können.
»Hallo, Frau Ehring, ich komme gerade von einem Termin mit Herrn Ibrahim. In der Familiensache Ibrahim/Aheim …«
Ich wurde von einem fröhlichen Lachen unterbrochen.
»Na, da bin ich ja mal gespannt, was Sie dazu sagen!«
»Was ich dazu sage? Unprofessionell ausgedrückt würde ich sagen, dass Herr Ibrahim einen an der Waffel hat – und zwar gehörig. Als Sachverständige werde ich um eine psychiatrische Zusatzbegutachtung bitten. Er hat eine massive Störung, aber ich weiß nicht so genau, welche. An die Amnesie glaube ich nicht, aber das hätte ich eben auch gerne schriftlich.«
»Ich denke, da liegen Sie richtig. Ich glaube auch nicht an seine angebliche Gedächtnisschwäche. Die tritt nämlich immer dann auf, wenn es ihm in den Kram passt. Er hat beim Gerichtstermin gleich losgelegt und der Mutter eine Menge schlimmer Dinge vorgeworfen. Als der Richter sie dazu befragt hat, hat sie alles abgestritten, konnte aber belegen, dass Herr Ibrahim in den ersten Jahren nach der Trennung keinen Kontakt zu den Kindern wollte. Sie hatte sich an das damals zuständige Jugendamt und eine Beratungsstelle gewandt, um zu erfahren, wie sie damit umgehen sollte. Also, was sie den Kindern sagen sollte. Ja, und dann sollte sich Herr Ibrahim dazu äußern und …«
»Und konnte sich an nichts erinnern.«
»Genau! Er hat keinen Unterhalt gezahlt und sie über zwei Jahre sogar gestalkt, so
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