Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
das der Polizei gesagt hat. Ich glaub das jedenfalls nicht. Der war immer voll in Ordnung.«
Auf die Schilderungen ihrer Tochter angesprochen, erklärte sie, dass das »ja mal wieder typisch für die kleine Mistkröte« sei. »Lara will immer nur Ärger machen. Da kommt ihr das natürlich gerade recht. Und dann erzählt die so einen Scheiß von wegen, sie wäre gehauen worden und so. Das ist echt nicht zu fassen, was die sich da mal wieder geleistet hat. Ständig macht die Ärger! Also, echt!«
Zum Abschlussgespräch erschienen die Eltern gemeinsam, obwohl ich sie nacheinander bestellt hatte. Sie erklärten, sie würden gemeinsam dafür kämpfen, dass man ihnen ihre Kinder umgehend wieder aushändigen müsse. Herr Becker sagte tatsächlich »aushändigen«.
Auf meine Frage an die Mutter, seit wann sie denn wieder mit ihrem Mann zusammen sei, erklärte diese: »Na, schon seit zehn Jahren.« Es stellte sich heraus, dass sie sich nie von ihrem Mann getrennt hatte, sondern dies nur auf den Rat des Anwalts, den sie nach der Inobhutnahme ihrer Kinder und dem polizeilichen Verhör aufgesucht hatte, behauptet hatte. »Weil der meinte, das wär dann besser für mich. Dann würde ich die Kinder bekommen, und dann könnten wir einfach wieder zusammen wohnen. Geht die doch nix an, ob ich mich von meinem Mann trenne oder nicht. Das kann ich ja wohl machen, wie ich will. Das ist schließlich mein Leben. Und das sind auch meine Kinder. Der haut die Kinder jetzt auch nicht mehr so doll. Das hat er gesagt, und das glaub ich dem auch.«
Herr Becker nickte bestätigend. »Das war halt Pech, dass die Kleine da im Krankenhaus war und so. Das hätte nicht passieren dürfen.«
Es klang sehr danach, als hätte sich das Ehepaar Becker schlicht und einfach vorgenommen, sich zukünftig nicht mehr erwischen zu lassen. Eine Einsicht in ihr Fehlverhalten gab es offenbar nicht.
Lara und ihre kleine Schwester wurden nach meinem Gutachten in eine Pflegefamilie vermittelt, wo sie sich weiter gut entwickelt haben. Kontakte zu ihren Eltern gibt es nicht.
Amnesie
»Ich bin ein politischer Flüchtling aus dem Irak und seit zwanzig Jahren in Deutschland. Ich wäre fast gestorben im Irak. Ich hatte viele Schussverletzungen.«
Mir gegenüber saß ein kleiner, untersetzter Mann mit grauem Haar und einer Kette mit einem überdimensionalen Kreuz um den Hals. Er lachte.
»Schlimme Schussverletzungen.« Er lachte erneut.
Es war trotz des freundlichen Sommertages dunkel in der winzigen Wohnung. Das lag am Kleiderschrank, der das Fenster fast vollständig verdeckte. Ein großes schwarzes Regal teilte das Zimmer in zwei Teile, so dass in den hinteren Teil keinerlei Tageslicht mehr gelangte. Eine funzelige Glühbirne war die einzige Lichtquelle.
Herr Ibrahim saß auf einem Holzstuhl, der irgendwie zu klein wirkte. Hinter ihm hing ein sehr buntes Madonnenbild, daneben ein Kruzifix. Auf der anderen Seite des Gemäldes war ein Poster an die Wand geheftet. Es zeigte eine nackte, vollbusige Blondine in eindeutiger Pose.
»Dann habe ich Frau Aheim kennengelernt. Sie war gleich schwanger mit Selma. Zwei Jahre später kam dann Marvin auf die Welt. Und dann ist sie verrückt geworden und hat sich von mir getrennt. Marvin war noch ein Baby, der arme Junge. So war das.«
Für Herrn Ibrahim schien damit alles gesagt zu sein. Ich bat ihn, mir genauer zu erklären, was er mit »verrückt geworden« meinte.
»Wie bitte?«
»Können Sie mir bitte erklären, was Sie damit meinen, wenn Sie sagen, die Mutter Ihrer Kinder sei verrückt geworden?«
»Woher wissen Sie das?«
»Woher ich was weiß?« Ich war verwirrt.
»Na, dass sie verrückt geworden ist. Der Richter hat so getan, als wüsste das gar niemand.«
Ich war mal wieder froh darüber, dass ich grundsätzlich alle Gespräche (mit Einverständnis der Beteiligten) aufnehme, um später noch einmal reinhören zu können. Herr Ibrahim hatte doch gesagt, dass seine Frau …
»Herr Ibrahim, Sie haben doch gerade gesagt, dass Ihre Frau verrückt geworden sei.«
»Hab ich das?« Er lachte.
»Ja, das haben Sie. Gerade eben.«
»Ja, das kann sein.«
Ich war tatsächlich etwas ratlos. Was war mit diesem Mann los? In der Akte hatte nichts Außergewöhnliches gestanden. Da waren zwei Kinder und ein Elternpaar, das sich um den Umgang und das Sorgerecht stritt. Eine Jugendamtsakte gab es zu dieser Familie nicht, und im Gerichtstermin war nur festgestellt worden, dass sich beide gegenseitig beschuldigten, den
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