Die scharlachrote Spionin
Miene war so ruhig und feierlich, als wäre sie in Marmor gemeißelt. »Warum hast du mich abgehalten?«
»Pure Physik«, erwiderte Sofia, »Wenn das Leder nass ist, wird es auf keinen Fall halten.« Sie drehte sich zu ihm und schaute ihn an. »Und aus einem anderen Grund, der viel persönlicher ist. Du bist ein Mann der Ehre. Du hättest es bitter bereut, eine Frau zu töten, wenn es nicht in Notwehr geschieht.«
»Ich hatte verdammt gute Gründe, meine Rache zu fordern«, brummte er.
»Rache ist niemals ein guter Grund, um jemandem das Leben zu nehmen.«
Osborne berührte ihre Wange. »Du hast recht. Außerdem sind die Gründe, ein Leben zu verteidigen, viel verlockender. Zum Beispiel ...«
Neben der Luke schossen die Flammen hoch.
Sofia drehte sich um. »Was wolltest du sagen?«, meinte sie zaghaft. Ihr Gesicht war rußverschmiert, und das windzerzauste Haar wellte sich über ihre Schultern. Kein Wunder, dass Poeten und Maler das diamanthelle Sternenfunkeln und Feuerschein als romantisch empfanden - Sofia bot den schönsten Anblick, der ihm jemals vor Augen gekommen war.
Aber es schien nicht der rechte Zeitpunkt für eine kunstvolle Rede, die von Herzen kam.
»Das kann warten«, murmelte Osborne, »denn ich habe nicht die Absicht, in Glanz und Gloria zu verbrennen.« Mit der Fingerspitze strich er eine störrische Locke von ihrer Wange. »Ich hoffe, dass der Unterricht an der Akademie dich auch gelehrt hat, wie man einem flammenden Inferno entkommt.«
Sofia lächelte. »Folge mir.«
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24. Kapitel
N ach der Untersuchung der Leiche auf der Terrasse klopfte Lynsley sich die Asche von den Fingern. »Es ist nicht ganz das Ende, das ich mir für die Mission gewünscht habe, aber in mancher Hinsicht dürfte es das Beste sein«, erklärte er. »Das Ableben der Lady könnte als unglücklicher Unfall ausgegeben werden. So könnten wir einen schmutzigen Skandal vermeiden, in den sowohl die Regierung als auch die Familie hineingezogen würde.«
»Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.« Osborne ließ den kirpan zu Boden fallen.
Obwohl es schwierig gewesen war, an der Fassade des Nachbarhauses hinabzuklettern, hatte er die Waffe nicht aus der Hand gegeben. Wie der Ritter aus der Legende des Arthur, der bereit ist, gegen den Feuer speienden Drachen zu kämpfen. Auch wenn der Ritter im Moment reichlich verwahrlost aussieht, dachte Sofia und lächelte innerlich, ohne Rüstung, ohne Lanze, ohne schneeweißes Schlachtross. Nur er selbst - ein Held aus Fleisch und Blut anstelle jener flüchtigen Erscheinungen, wie sie die Märchenbücher bevölkern.
»Amen«, murmelte Lynsley.
»Ja, ich würde auch sagen, dass sie bekommen hat, was sie verdient.« Sofia seufzte, zwang sich, wieder die irdischen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. »Und ich kann nicht anders, als ein wenig Mitgefühl für sie zu empfinden. Was für eine Schande, ein solches Talent zu verschwenden! Die Gesellschaft bietet Frauen so wenige Möglichkeiten, sich im Leben zu entfalten. Um ihre schöpferischen Fähigkeiten zu erproben, ist eine Frau gezwungen, sich in der Unterwelt herumzutreiben. Sie muss kriminell werden ... oder eine wie ich.«
»Sie bringen es auf den Punkt«, murmelte Lynsley. Als mehrere seiner Agenten sich dem Leichnam mit einem Leinensack näherten, forderte er Sofia und Osborne auf, ihm zu den Ställen zu folgen. Die Feuerwehr hatte den Brand unter Kontrolle, und unter den Pfiffen der mit Eimern bewaffneten Löschtruppe sah Sofia, dass die verwundeten Gefangenen in eine Seitenstraße verfrachtet wurden.
Die Agenten des Marquis werden gründlich aufräumen, dachte Sofia grimmig, schon morgen früh wird dem verkohlten Schutt nicht mehr anzusehen sein, was wirklich geschehen ist.
»Bella!« Marcos Stimme drang aus dem allgemeinen Gewirr an ihr Ohr.
Sie drehte sich um und bemerkte, dass er sich den Weg durch die gaffende Menge bahnte. Seine bordeauxrote Abendkleidung war an mehreren Stellen zerrissen, das Halstuch fehlte, und die Hose war über und über beschmutzt. »Grazie a Dio!«, rief er und drückte sie an sich. »Ein paar Minuten lang hatte ich wirklich Angst um dich.«
»Es war ein bisschen warm«, gestand Sofia ein, »aber dank Osborne ...«
»Sí! Prego, prego, amico!« Marco drückte Osborne ebenfalls fest an sich. »Tut mir leid«, fügte er hinzu, als er Osbornes Miene bemerkte, »ich neige dazu, meine englischen Manieren zu vergessen,
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