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Die scharlachrote Spionin

Die scharlachrote Spionin

Titel: Die scharlachrote Spionin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Pickens
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Niemand soll auch nur ahnen, dass ich in der verführerischen Pracht der herrschaftlichen Anwesen in Mayfair nicht zu Hause bin.
    Eine Lady muss ihre Gefühle immer im Griff haben. Für den Bruchteil einer Sekunde erhoben sich Mrs. Merlins Worte über die perlenden Stimmen und das samtige Rauschen der Abendgesellschaft. Sofia spürte, wie die neugierigen Blicke auf ihr ruhten, als der Marquis ihren Umhang an einen Lakaien weiterreichte.
    Ab sofort würde sie sich noch mehr anstrengen müssen, ihre Gefühle zu verbergen. Es hatte sie schockiert, dass Lord Osborne ihre betonte Höflichkeit so rasch durchschaut hatte. Angesichts seines blendenden Aussehens und seiner großen Beliebtheit hatte sie angenommen, dass er sich doch mehr für sich selbst als für irgendjemand anders interessieren würde. Sie durfte seine Beobachtungsgabe kein zweites Mal unterschätzen.
    »Ein schreckliches Gedränge, nicht wahr?« Der Marquis ließ den Blick über die Reihe der Gäste schweifen, die versuchten, sich den Weg über die geschwungene Treppe zu bahnen. »Das ist sozusagen der Ritterschlag einer jeden Abendgesellschaft.«
    »In der Tat, ein schreckliches Gedränge.« Sofia zog ihre Röcke aus dem Weg zweier junger Gentlemen, die beinahe zusammenstießen, als sie sich umwandten, um ihren Busen zu begaffen. »Kohlköpfe«, murmelte sie atemlos und beobachtete, wie die beiden an den Falten ihres Halstuchs nestelten. »Wenn die jungen Burschen den Kragen noch ein wenig höher ziehen, laufen sie Gefahr, sich die Augen auszustechen.«
    »Das beweist eindrücklich, dass die Salons sich oft zu Sklaven der Mode machen«, erwiderte Lynsley trocken. »Schauen Sie sich einen Moment lang um und machen Sie sich mit der Welt der Schönen und Reichen vertraut. Sobald wir die Gastgeberin begrüßt und den Ballsaal betreten haben, werden wir ziemlich in Bewegung sein.«
    »Ich achte darauf, dass ich auf Trab bleibe, Sir.« Mit keinem Wort erwähnte sie den gereizten Wortwechsel mit Osborne; der Marquis sollte nicht schon wieder einen Anlass zur Klage haben.
    »Einfach nur Lynsley«, gab der Marquis zurück, »ich bin nicht länger Ihr Vorgesetzter, sondern nur ein guter Freund.«
    Ja, Sir! Sofia unterdrückte den Impuls einer zackigen Antwort, gab den Anschein der Ungeniertheit und ließ den Blick langsam über ihre Umgebung schweifen.
    Die schwarzen und weißen Marmorfliesen, die sich vor ihr erstreckten, waren unter dem Meer gerüschter Seide und den polierten Tanzschuhen kaum zu erkennen. Aber die Wirkung war immer noch eindrucksvoll, genau wie die weiß glänzende Vertäfelung, die in einem tiefen Bordeauxrot abgesetzt war. Mehrere große Porträts in Messingrahmen blickten grimmig schweigend auf die Gästemenge herab. Die gestärkten weißen Halskrausen und reich bestickten Samtwamse ließen den Schluss zu, dass sie bereits seit mehreren Jahrhunderten frivole Gesellschaften beobachteten, ohne die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.
    Die altmodische Pracht ihrer Kleidung wurde durch den federleichten Tand und Flitter der Gegenwart mehr als übertroffen.
    Du lieber Himmel, waren das wirklich rosa Straußenfedern, die den aufgebauschten violetten Turban da drüben krönten? Sofia zügelte ihre zuckenden Lippen, während sie den Blick weiterschweifen ließ. Die Abendkleider reichten von sittsamen Kleidern in Pastelltönen zu gewagten Kreationen in schrillen Farben, die reichlich Haut freigaben. Das kalte Funkeln des Goldes und der kostspieligen Steine betonte den sanften Schimmer der Stoffe. Spitzengesäumte Schultertücher, gefranste Schals, bemalte Fächer ... angesichts der flammenden Modenschau hatte Sofia das Gefühl, dass ihr der Kopf schwirrte.
    Die Gentlemen stolzierten ebenfalls umher wie eitle Pfauen. Obwohl einige, genau wie Lynsley, in sachliches Schwarz und Weiß gekleidet waren, gab es reichlich farbenfrohes Gefieder zu sehen. Ihr Blick blieb an einem Frack in Kanariengelb hängen, der sich dicht an ein himmelblaues Jackett schmiegte, das auf Taille geschnitten war. Die Westen waren noch bunter, wie sich an der verwirrenden Vielfalt der Streifen und Muster zeigte, und die Accessoires nicht weniger ausgefallen. Messingknöpfe so groß wie Untertassen zierten die extrafeine Wolle, rubinbesetzte Nadeln hielten die geknoteten Halstücher am Platz, und aus jeder Uhrentasche hing eine dicke goldene Uhrenkette heraus.
    Privilegien, Macht, Ahnentafeln. Der Reichtum sprach eine eigene Sprache.
    »Wenn Sie so weit sind, meine Liebe, können

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