Die scharlachrote Spionin
musterte Sofia den Schlüssel und die scharlachrote Mohnblüte. »Die Goldarbeit und das Emaille sehen aus, als wären sie in Venedig gefertigt worden«, meinte sie bedächtig und freute sich, dass der Unterricht in Kunstgeschichte endlich praktisch angewandt werden konnte. »Können Sie sich vorstellen, wozu der Schlüssel gebraucht wurde?«
»Es gehört zu Ihrem Auftrag, das herauszufinden, Sofia. Ich vermute, er gehört zu einer ganzen Serie. Aber Sie müssen ermitteln, wozu der Schlüssel dient und wer noch ähnliche besitzen könnte.«
Langsam begriff sie, warum der Marquis immer behauptete, dass es sich um eine schwierige Mission handelte.
Die Ringe unter seinen Augen schienen noch tiefer und dunkler als vor ein paar Tagen. »Zögern Sie?«, hakte er nach.
»Nicht im Geringsten, Sir! Ein Merlin fühlt sich jeder Herausforderung gewachsen.«
Ihre gespielte Tapferkeit zauberte ein gespenstisches Lächeln auf seine Lippen. »Ich schätze Ihren Mut, Sofia, aber überlegen Sie gut, wie Sie Ihre Flügel spreizen wollen. Seien Sie vorsichtig. In London treiben viele gefährliche Raubtiere ihr Unwesen.« Er erhob sich, stopfte das seidene Tuch wieder in seine Tasche, reichte ihr aber den Schlüssel. »Könnte sich als nützlich erweisen. Also behalten Sie ihn.«
Bedrohlich lag der verzierte Bart des Schlüssels in ihrer Hand.
»Wenn der Abend vorüber ist, wird man uns nicht mehr zusammen in der Öffentlichkeit sehen. Die Scarlet Knights sollen glauben, dass wir bestenfalls eine entfernte Bekanntschaft pflegen. In Wirklichkeit werde ich zwar nicht verreisen, aber ich werde auch nicht in der Gesellschaft auftauchen. Sie können mir über Rose eine Nachricht zukommen lassen, wenn Sie etwas Dringliches zu berichten haben. Andernfalls sind Sie vollkommen auf sich allein gestellt.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Sir! Und wenn ich jedes Schloss in London einzeln überprüfen muss - ich werde das Geheimnis dieser hübschen Mohnblüte ganz bestimmt lüften.«
»Rotten Row? Ein ausgesprochen merkwürdiger Name.«
»Man sagt, dass er sich aus dem Französischen ableiten lässt, aus Route de Roi. Oder King's Road. King William III. hat die Avenue im Jahre 1690 bauen lassen, weil er auf einem sicheren Weg zwischen dem St. James Palace und seinem neuen Hof am Kensington Palace reisen wollte.« Osborne legte die Zügel seines Jagdwagens in die andere Hand, um einen Gruß der verwitweten Herzogin von Cranfield und ihrer Gesellschaft zu erwidern. »Abends wurde der Weg von dreihundert Öllampen erleuchtet ...«
»Osborne!« In einer Gruppe von vier Ladys, die neben dem Gedränge der Kutschen spazierten, flatterte ein Seidenband auf. »Sie müssen unbedingt zu meinem Hauskonzert kommen! Der Tenor stammt aus Mailand. Man sagt, dass er singt wie ein Engel. Aber Ihr musikalischer Geschmack ist göttlich, und ich muss einfach wissen, was Sie dazu meinen.«
»Sie dürfen mit meiner Anwesenheit rechnen, Lady Caroline.« Er zügelte sein Gespann in den Stand. »Gleichwohl nehme ich an, dass Contessa della Silveri, die erst diese Woche vom Kontinent eingetroffen ist, in Bezug auf italienische Sänger eine ausgewiesenere Expertin ist als ich. Gestatten Sie, dass ich Sie und Ihre Freunde vorstelle.«
Die Aussicht schien die Lady nicht sonderlich zu begeistern. Ihr Lächeln gefror, als sie Sofia mit unterkühlter Höflichkeit und eisigem Blick begrüßte. Es brauchte mehrere versteckte Anstöße, bis die Einladung zum Hauskonzert ausgesprochen wurde.
Und was Lady Carolines Begleitung betraf ... Osborne erlaubte sich ein gequältes Lächeln. Er hatte keine Ahnung, wie die Frauen es fertigbrachten, sich über die Gesetze der Physik hinwegzusetzen, indem sie über jemanden die Nase rümpften, der ihnen haushoch überlegen war.
Seine männlichen Bekanntschaften reagierten entschieden freundlicher auf das neue Gesicht. Rasch umrundeten die Reiter den Jagdwagen, um einen genaueren Blick auf die Gesichtszüge werfen zu können, die sich unter dem breitkrempigen Hut verbargen.
»Scheint so, als würden Sie jede Menge Leute kennen, Lord Osborne«, meinte Sofia, nachdem sich die Menge endlich gelichtet hatte.
»Es sieht zwar so aus, als würde ganz London auf diesem Weg spazieren gehen, aber um die Wahrheit zu sagen, die Welt der Salons ist ziemlich klein.« Er lenkte das Gespann an einer schwerfälligen Kalesche vorbei. »Bestimmt sind Sie mit einigen Leuten in der Stadt schon vertraut.«
»Nein, mit keiner Seele, außer Lord
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