Die scharlachrote Spionin
wir uns langsam den Weg bahnen, um unsere Gastgeberin zu begrüßen.« Lynsleys Worte rissen sie aus ihren Betrachtungen.
»Ja, natürlich.«
Die Reihe der Menschen, die sich über die gewundene Treppe bis nach oben zog, schien nicht schmaler geworden zu sein. Trotzdem folgte Sofia der Aufforderung des Marquis. Sie spürte, wie der Stoff über ihre nackten Arme strich, und hörte, wie hinter ihr gewispert wurde. Mit erhobenem Kinn gab sie sich den Anschein, als würde sie nichts bemerken.
Ich bin nur eine Schauspielerin, die eine Rolle spielt, mahnte sie sich. Jetzt wo der Vorhang sich gehoben und sie die große Bühne betreten hatte, musste sie es in Kauf nehmen, dass sie das Objekt neugieriger Blicke geworden war.
Als sie nach einer letzten Biegung auf dem oberen Stockwerk angekommen waren, kam es ihr vor, als würde das Licht aus dem massiven Kronleuchter noch heller strahlen.
»Mein lieber Thomas! Welchen Umständen haben wir diese seltene Ehre zu verdanken? Es geschieht nicht oft, dass wir Sie aus Ihrem Kaninchenbau in Whitehall herauslocken können.«
»Der Tochter eines alten Freundes, Sally. Gestatten Sie, dass ich Ihnen Lady Sofia della Silveri ...«
»Ah ja, ich habe schon von der Contessa gehört.« Lady Jersey wackelte unverblümt mit dem Finger. »Sie haben wirklich eine ordentliche Tratscherei provoziert, meine Liebe, weil Sie den teuflisch attraktiven Lord Osborne gewinnen konnten, Sie zu einer Tour in seinem Jagdwagen einzuladen.« Die Herzogin senkte die Stimme, obwohl Sofia sie immer noch als überlaut empfand. »Caroline Calverton versucht seit Jahren, sich in solch schwindelerregende Höhen zu schwatzen. Aber Osborne ist dafür bekannt, niemandem einen Platz in seinem besonderen Gefährt anzubieten. Sie müssen mir unbedingt verraten, wie es Ihnen gelungen ist, diesen Mann zu verzaubern.«
»Ich fürchte, das habe ich gar nicht.« Sofia stimmte in das leise Gelächter der Frau ein. »Lord Osborne war nur deshalb so außerordentlich freundlich, weil Lord Lynsley ihn gebeten hat, ihm einen Gefallen zu tun.«
Lady Jersey warf einen fragenden Blick auf den Marquis. »Ich hatte keine Ahnung, dass Sie befreundet sind! Es stimmt, dass er sich seinen Freunden gegenüber immer verpflichtet sieht. Er hat Lord Kirtland beigestanden, trotz all der üblen Gerüchte, die sich um seinen Namen rankten.«
»Osborne ist ein ausgesprochen anständiger und rechtschaffener Gentleman«, stimmte Lynsley zu. »Ich schätze mich glücklich, dass er Lady Sofia in der Stadt herumführt, bis sie in der Gesellschaft etabliert ist.«
»Das ist wirklich sehr freundlich, Thomas!« Die Herzogin tippte ihm mit dem Fächer auf den Ärmel und zwinkerte. »Es gibt sicher nicht viele Gentlemen, die so gnädig wären, die Aufgabe jemand anders zu überlassen.«
»Leider habe ich in der Angelegenheit keine Wahl. Arbeit ist eine strengere Geliebte als jede Frau.«
Lady Jersey lachte schnaubend.
»Davon abgesehen ist es für Lady Sofia angenehmer, ihre Zeit mit jemandem zu verbringen, der nicht so alt ist, dass er auch ihr Vater sein könnte.«
Die Herzogin hob das Augenglas und musterte den Marquis eingehend.
Insgeheim warf Sofia ihm ebenfalls einen Blick zu und war sich darüber im Klaren, dass sie ihn in vollkommen neuem Licht betrachtete. In einer vollkommen anderen Welt. Der glitzernde Ballsaal in Mayfair, die wirbelnde Seide, der Champagner und das kristallene Gelächter ... All das war ganz und gar anders als die schlichten, kargen Schulzimmer in der Akademie.
Lynsleys akkurat geschnittenes mausbraunes Haar zeigte einen silbrigen Schatten an den Schläfen; es war immer noch dicht. Sein Gesicht mit den eisblauen Augen war aristokratisch geschnitten. Obwohl seine düstere Kleidung absichtlich schlicht geschnitten schien, um nicht aus der Menge herauszustechen, umgab ihn doch eine Aura der Autorität.
Sofia blinzelte. Jeder, der Augen im Kopf hatte, konnte sehen, dass Lynsley ein ausgesprochen attraktiver Mann war.
Lady Jersey schien zuzustimmen. »Es macht nicht den Eindruck, als würden Sie in Kürze an Altersschwäche zugrunde gehen. Ich weiß mehrere Ladys, die Sie gerne kennenlernen ...«
»Später vielleicht.« Sanft führte Lynsley die Hand der Lady an seine Lippen. »Aber fürs Erste sollten wir Ihnen die Gelegenheit verschaffen, die übrigen Gäste zu begrüßen. Ich kann förmlich spüren, wie sie mir mit ihren Blicken den Rücken durchbohren.«
»Aber nicht meinetwegen.« Die Lady warf einen
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