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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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wohl mal mir ein anderes Plätzchen«, sagte er und trat den Rückzug an.
    »Nein, es ist Platz genug.« Sie rutschte auf dem Bänkchen zur Seite, so dass Fegans hagerer Körper Platz hatte. Er zögerte noch eine Sekunde, dann setzte er sich neben sie.
    »Ich wollte ohnehin mit Ihnen reden«, sagte sie. »Und mich entschuldigen.«
    »Wofür?« Er machte die Dose Harp Lager auf und nahm einen Schluck. Die Kohlensäure bitzelte auf seiner Zunge.
    »Weil ich gestern so … komisch war. Ich habe ein paar Dinge gesagt, die ich besser nicht gesagt hätte.« Der Wein kräuselte sich in ihrem Glas, weil ihre Hand zitterte.
    »Das macht nichts«, sagte er. »Jeder sagt schon mal Sachen, die er später bereut.«
    »Stimmt wohl«, sagte sie. Als er ihr den Kopf zuwandte, erhaschte er gerade noch ein Lächeln.
    »Warum sind Sie eigentlich hergekommen?«, fragte Fegan. Noch bevor er sich bremsen konnte, war ihm die Frage herausgerutscht. Er senkte den Blick auf die Bierdose in seiner Hand.
    Marie versteifte sich neben ihm. »Wie?«
    Ach, nichts. Das hätte er vielleicht gesagt, wenn er nicht gerade den letzten Rest seines Verstandes verlieren würde. Stattdessen sagte er: »Die wollen Sie hier nicht, aber trotzdem sind Sie heute hergekommen. Und gestern auch. Warum haben Sie das gemacht?«
    Sie atmete dreimal tief durch, bevor sie antwortete. »Weil es meine Familie ist. Aus ihr stamme ich, ob ich will oder nicht. Ich lasse mich nicht vertreiben, ganz egal, wie sehr sie es probieren.«
    »Das ist doch sinnlos«, sagte er. »Wozu die Mühe, wenn die Sie sowieso nicht wollen?«
    »Lesen Sie viel?«, fragte sie.
    Er schaute sie wieder an. »Nein.«
    »Es gibt da ein kleines Buch, es heißt Josssel Rockower spricht zu Gott. Letzten Endes stellte sich heraus, dass es ein Schwindel war, aber zuerst wurde behauptet, es sei von einem Juden geschrieben worden, der sich im Warschauer Ghetto vor den Nazis versteckte. Die schrecklichsten Dinge waren ihm widerfahren, aber am Ende begehrt er dann gegen Gott auf. Er sagt zu ihm: >Gott, du kannst mit mir machen, was du willst, du kannst mich in den Staub treten, du kannst meine Freunde töten, du kannst meine Familie töten, aber was auch immer passiert, du wirst mich nicht dazu bringen, dich zu hassen.<«
    Marie seufzte einmal tief. »Hass ist etwas Schreckliches. So eine sinnlose, dumme Regung. Man kann jemanden aus vollem Herzen hassen, ohne dass es dem anderen auch nur den geringsten Schaden zufügt. Der Einzige, den es verletzt, ist man selbst. Und so hasst man tagein, tagaus, ständig nagt es an einem, während der Mensch, den man hasst, unbehelligt weiterlebt. Wozu also? Sollen sie mich doch hassen, aber sie werden mich nicht dazu bringen, sie zurückzuhassen. Es ist meine Familie, und ich werde mich von ihrem Hass nicht vertreiben lassen.«
    Fegan musterte die winzigen diamantenen Muster der Haut auf ihrem Handrücken, die zarten Fingerknöchel und die blassblauen Linien ihrer Adern. »Das Buch würde ich gern einmal lesen«, sagte er.
    »Sie können ja in die Bücherei gehen. Ich habe es nicht mehr. Als ich achtzehn war, hat mein Vater mein Exemplar Onkel Michael gezeigt. Onkel Michael hat mich dann gezwungen, es zu zerreißen. Er sagte, das sei jüdische Propaganda. Er sagte, ich solle gefälligst mal darüber nachdenken, was die Juden den Palästinensern antäten. Ich weiß noch, wie bizarr ich das damals fand. Er sagte nicht, die Israelis. Er sagte, die Juden. Ich glaube nicht, dass er in seinem ganzen Leben jemals einen Juden getroffen hatte, trotzdem hasste er sie. Ich verstand das einfach nicht. Komisch, seit Jahren habe ich nicht mehr an dieses Buch gedacht, aber seit Onkel Michels Tod geht es mir nicht mehr aus dem Kopf.«
    Einen Moment lang schwiegen beide und nahmen einen Schluck. Dann sagte Marie: »Wo wir schon gerade bei schwierigen Fragen sind - warum wollten Sie sich eigentlich hier drin verstecken?«
    »Es sind zu viele Leute da, die ich von früher kenne«, antwortete Fegan. »Ich ertrage ihr Gerede nicht.«
    »Die Leute hier haben aber ziemlichen Respekt vor Ihnen.«
    »Sie haben keinen Respekt vor mir, sie haben Angst.«
    »Ich habe keine Angst vor Ihnen.«
    Fegan spielte mit der Aufreißlasche der Bierdose. »Wissen Sie, was ich getan habe?«
    »Ich habe ein paar Dinge gehört«, sagte sie. Ihre Schulter streifte seine, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. »Hören Sie mal, Männer wie Sie kenne ich schon mein ganzes Leben. Meine Onkel, meinen Vater und meine

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