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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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ignoriert, damit das Rad sich weiterdrehte, hm? Wie viele Raubüberfälle sind unter Ihrem Kommando nicht aufgeklärt worden, nur weil keiner sich richtige Mühe gegeben hat? Wie viele Leute sind aus Rache zusammengeschlagen worden, und es wurde um des lieben Friedens willen ignoriert?«
    »Sir, ich finde wirklich nicht…«
    »Erzählen Sie mir nichts über Opportunismus, Geoff.« Hargreaves merkte, wie sich auf seine trockenen Lippen ein Lächeln stahl. »Wie viele Ihrer Männer müsste man wohl eigentlich vor Gericht stellen, wenn es hier nicht um politischen Opportunismus ginge?«
    Pilkington schnaubte. »Das verdient keine Antwort, Sir.«
    »Opfer«, sagte Hargreaves. »Zum Wohle des Ganzen muss nun mal jeder Opfer bringen. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
    Ohne noch eine Antwort abzuwarten, beendete er das Gespräch.

Davy Campbell stand allein an der Bar und war sich bewusst, dass er hier der Einzige war, der keinen schwarzen Anzug trug. Kaum war er hereingekommen, hatten die Seitenblicke angefangen, Leute hatten miteinander getuschelt und mit dem Kopf in seine Richtung gedeutet. Sie erkannten ihn. Sie wussten, dass er derjenige war, der zu den Dissidenten in Dundalk übergelaufen war. Er wartete auf eine Konfrontation, auf die Frage, was er wieder in Belfast zu suchen hatte. Doch sie kam nicht, vielleicht aus Respekt für den Dahingeschiedenen. Wäre er ein Fremder gewesen, hätte man ihn Sekunden nach seinem Eintreten in die Mangel genommen. Das hier war nun mal nicht die Sorte Pub, in der man einfach mal im Vorbeigehen auf ein Glas haltmachte, Frieden hin oder her.
    Die Bar des verstorbenen Michael McKenna mochte vielleicht eine Spelunke sein, ein Ort, wo sich zwielichtiges Gesindel volllaufen ließ, aber es gab nichts daran zu rütteln, dass sie hier einen anständigen Pint einschenkten. Campbell setzte sein Glas Dark Smithwick’s an den Mund, und die samtene Kühle rann über seine Kehle wie Öl.
    »Du hast ja vielleicht Nerven, Kleiner.«
    Campbell wandte sich nicht um. Aus dem schmierigen Spiegel hinter der Bar stierte ihn Eddie Coyles Spiegelbild an. Er war gut und gerne fünfzehn Zentimeter kleiner als Campbell, und sein schütter werdendes blondes Haar stand ihm in zerzausten Büscheln um das runde Gesicht. Campbell wischte sich den Schaum aus dem Bart.
    »Was machst du hier?«, fragte Coyle. »Hattest wohl keine Lust mehr, mit den Drecksäcken da unten in Dundalk Soldat zu spielen, was?«
    »So ungefähr«, antwortete Campbell.
    Coyle kam näher an ihn heran. »Ja wie? Glaubst du etwa, jetzt, wo Michael tot ist, kannst du hier einfach wieder aufkreuzen?«
    »Ich trinke hier nur einen, Eddie, in Ordnung?« Campbell drehte sich um und fixierte Coyle. »Wenn du einen mittrinken willst, prima. Wenn nicht, verpiss dich.«
    Coyle kniff die Augen zusammen. »Häh?«
    »Du hast mich schon verstanden.« Campbell stellte sein Glas auf die Bar.
    Ein Grinsen kroch auf Coyles Lippen und legte seine fleckigen Backen in Falten. »Hast du mir gerade gesagt, ich soll mich verpissen?«
    »Ja, Eddy, ich glaube, darauflief es hinaus.« Campbell lächelte. »Wenn du keinen mit mir trinken willsr, dann verpiss dich. Deutlich genug?«
    Campbell ahnte den Schlag noch vor dem Mann, der ihn ausführte. Er hatte schon vor vielen Jahren gelernt, dass man, um in einer Schlägerei zu gewinnen, eigentlich nur den anderen aus dem Gleichgewicht bringen und sein eigenes behalten musste. Coyle hatte den einfachen Fehler gemacht, seine Balance der Wucht seines Schlages zu opfern. Campbell musste jetzt nur noch den linken Unterarm heben und diese Wucht an sich vorbeilenken, dann würde Coyles Körpergewicht folgen.
    Coyle krachte in eine Reihe Barhocker und landete fluchend auf dem Rücken. Er rappelte sich hoch und griff erneut an. Wieder lenkte Campbell den Schlag ab, und Coyle knallte mit dem Brustkorb gegen die Bar. Er wirbelte herum und wollte noch einmal zuschlagen, aber Campbell war schneller. Mit der linken Hand bekam er Coyles blonden Schopf zu fassen, die Rechte ballte er zur Faust. Er schlug sie Coyle in das hochgereckte Gesicht, bis seine Knöchel rot verschmiert waren. Dann ließ er Coyles Haare los, so dass das Kinn des anderen mit einem befriedigenden Wumm! auf die Bar knallte.
    Jetzt fielen die anderen über ihn her. Campbell wusste nicht, wie viele es waren, er wusste nur, dass über ihm eine Mauer aus Männerleibern in schwarzen Anzügen zusammenbrach. Er spürte, wie eine Hand nach seinem Haar griff und eine

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