Die Schatten von La Rochelle
schlugen, und die unerbittliche Stimme, die den Pastor bei seiner R e de schneidend unterbrach.
Untertanen, die gegen ihren H e rrscher rebellieren, haben keine Bedingungen zu stellen.
Ja, er erinnerte sich; er erinnerte sich nur zu gut. Er öffnete die Augen wieder und sprach den Na m en aus, der ihn zwölf Jahre lang ver f olgt hatte: »R ichelieu. Richelieu!«
I
D IE Z IELE
Wir se h en die Bestimmung »glücklich« für die D efi n ition d es Staates nicht als wesentlich an.
Jean Bodin: Über den Staat
1. KAPITEL
Charlotte Dieudonnée hatte lange in der Rue Saint Honoré gewartet, e h e sie das Pal a is Cardinal betrat. Sie war viel zu früh geko mm en, aber sie hatte nicht gewagt, vor dem Zeitpunkt vorzusprechen, der ihr genannt worden war.
Es überraschte sie ohnehin, daß die Herzogin von Aiguillon sie persönlich zu sehen w ünschte. Gewöhnlich überließen vorneh m e D a m en die Einstellung ihres P ersonals dem Haushof m e i ster; die Herzogin von Elbeuf hatte es g e wiß so gehalten. Unwillkürlich straffte sie die Schultern; die S t äupung lag nun lange genug zurück, aber sie spürte im m er noch die Schläge auf ihren Schultern, als sei es gestern gewesen.
Während sie Le Val, dem Lakai, d e m sie es verdankte, daß m an sie heute hier empfing, durch die Gänge des Palais Cardinal folgte, nagte der Hunger an ihr. Sie wußte nicht, wann sie zum letzten Mal gegessen hatte; was ihr an Geld verblie b en war, h atte dazu g edient, ihr Kleid zu waschen und aufzubessern, d a m it sie auf die Herzogin einen guten Eindruck m achte. Um das hohle Gefühl im Magen zu vergessen, hob s i e den Blick v on Le Vals eilig klac k e n den Schuhen, die v o r ihr herschritten, und schaute sich um.
Sie hatte n och nie so viele Bil d er hintereina n der gesehe n ; auch kleine weiße Statuen gab es, aber im Vorbeigehen konnte sie keine erkennen, die wie ein Heiliger oder ein Engel aussah. Das bestätigte, was Annette d’Elbeuf i h r von d e r G ottlo s igkeit des Mannes erzä h lt hatte, dem das Palais gehörte und den Mada m e d’Elbeuf nur als »diesen furchtbaren Priester« bez e ichnete. Aber so vieles, was Annette und Mada m e beh a uptet hatten, waren Lügen gewesen, daß es sie nicht wundern würde, wenn sich seine E m inenz, der Kardinal Richelieu, als frommer Einsie d l er erwies. Außerdem war sie inzwischen fast bereit, im H a us des Antichristen selbst zu dienen.
Le Val blieb vor einer Tür stehen und drehte sich u m . »Du bist dünner geworden«, sagte er. »Und noch kleiner.« Charlotte schoß das Blut in die W angen. Sie wußte genau, worauf er jetzt anspielte, und sah sich, wie er sie gesehen hatte: m it entblößtem Oberkörper und kurzgeschorenen H aaren, während sie ihre Strafe e m pfing. Irgendwie fand sie den Mut, ihm zu a ntworten. »Wenn dir dein Angebot leid tut, dann laß es doch.«
»Nein, nein, ich bleibe dabei«, g a b er spöttisch zurück. »Schließlich seid ihr Mulattinnen selten, und es täte m i r leid, wenn ich dich in ein paar Monaten auf dem Pont-Neuf wiederfände, nach d em jeder dich schon gehabt hat.«
Früher, in der unbeküm m erten Sel b stsicherheit ihrer Stellung als Annettes Ziehschwester und Freundin, hätte sie ihn dafür ins Gesicht geschlagen, oder vielleicht hätte sie auch nur darüber gelacht und wäre fortgegangen, wie sie es einmal getan h a tte, als er z u m ersten Mal ande u tete, was er v on ihr wollte. Jetzt wußte sie, daß er rec h t hatte. Noch ein paar Monate, u n d sie würde sich verkaufen und Glück haben, wenn es M änner gab, die für eine freie Mulattin wegen ihres ex o ti s chen Reizes m ehr zahlten als für jedes andere Straßen m ädchen.
»Nun komm«, sagte L e Val, während er beo b achtete, wie si e ihren Zorn hinunterschluckte, »Mada m e wartet.«
Er klopfte, öffnete die Tür und sa g te m it einer Stim m e, der völlig der Poiteviner Akzent fehlte, m it dem er sonst redete: »Mada m e, das Mädchen, von dem ich sprach, ist hier.«
Charlotte machte einen Schritt nach vorne, versank sofort in einen Knicks und starrte auf den Boden, bis eine kühle, gleich m äßige Stim m e sie aufforderte: »Komm näher.«
Erst dann gestattete sie sich, während sie sich langsam erhob, einen ersten B lick auf die Nic h te des Kar d inals.
Marie de Vigner o t, Herzogin von Aiguillon, s t and hi n t er einem breiten, ausladenden Tisch m it geschwungenen Beinen, und als erstes fiel Charlotte auf, daß sie b e ide etwa
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