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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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übersehen haben. Eine Kleinigkeit, ein klitzekleines Detail.» Während er ihr vom Inhalt der Dokumente erzählte, zog er Tilda die Strümpfe aus und wärmte ihre kalten Füße mit seinen Händen.
    «Dann geh zu Ballin und frag ihn.»
    «Das werde ich gleich morgen machen. Wenn er mich denn vorlässt.»
    «So, wie ich ihn privat kennengelernt habe, war er sehr freundlich und zuvorkommend. Witzig und fast ein wenig charmant – wenn da nur nicht diese gnomenhafte Erscheinung wäre. Wenn ich dir behilflich sein kann   …»
    Sören nickte. «Ja, aber nicht, was Ballin betrifft. Ich muss dringend an Davids Kumpane heran. Vor allem an diesen Willi Schmidlein, der gemeinsam mit David angereist ist. Von seiner Aussage hängt alles ab. Er wird irgendwo untergekrochen sein. Ich weiß nur, dass er angeblich eine Anstellung bei Blohm + Voss in Aussicht hat. Um welche Arbeit es sich dabei genau handelt, konnte mir David nicht sagen. Der Name des anderen Kumpans ist Jan Hauer. Er war zwar bei der Schlägerei nicht dabei, aber vielleicht weiß er, wo Schmidlein steckt.»
    «Und die anderen Genossen, die dabei waren?»
    «Der rote Peter und ein gewisser Adolph Rüter. Diese Namen stehen zumindest in den Fahndungsbüchern der Polizei. Dann soll da noch ein Kerl namens Hans dabei gewesen sein. Von dem kenne ich aber nur den Vornamen. Tja, die kommen alle aus der Stadt und werden ihre eigenen Kontakte haben. Du kannst dich ja mal umhören.»
    «Ich werde mein Bestes tun – und sonst? Kann ich sonst noch etwas für dich tun?» Tilda schob ihre Füße an Sörens Hosenbein empor. «Ohne Bart siehst du viel jünger aus.» Sie lächelte. «Fast hätte ich dich nicht erkannt.» Aus dem Kamin schlugen knisternde Funken. «Ich habe das dringende Bedürfnis, bei dir zu sein   … ganz dicht   … Jetzt sofort.»
    Als sie sich aufsetzte und begann, die Bänder ihres Kleides zu öffnen, blickte Sören sie einen Moment irritiert an. Dann lächelte er, griff nach ihren Hüften und zog sie zu sich heran. Tilda hatte keine Hemmungen. Anfangs war ihm ihre Direktheit unheimlich gewesen, aber inzwischen war er ihr dankbar dafür.

Der Generaldirektor
    Schließlich war es einfacher, als Sören gedacht hatte. Den ganzen Vormittag über hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie sich der Kontakt am unverfänglichsten herstellen ließe. Ein privater Besuch bei Ballin schied aus, und er zweifelte daran, dass er einen sofortigen Termin in der Direktionsetage der Hapag bekommen würde, wo er nicht einmal einen triftigen Grund vorweisen konnte. Am besten war es also, wenn er ihn ungezwungen und zufällig in ein Gespräch verwickelte. Aber bei welcher Gelegenheit? Martin hatte erwähnt, dass Ballin jeden Mittag gemeinsam mit seinem Freund Warburg die Börse aufsuchte. Max Warburg, den Direktor des gleichnamigen Bankhauses, kannte Sören ebenfalls nur flüchtig, aber dessen Bruder, den Kulturwissenschaftler Aby Warburg, hatte er im Hause Brinckmann kennengelernt, als er seine Mutter zu einem Empfang begleitet hatte. Sie hatten den ganzen Abend über gemeinsam an einem Tisch gesessen und sich angeregt unterhalten.
    Aby Warburg war damals einer Einladung der Oberschulbehörde gefolgt und hatte tagsüber eine Vorlesung über Leonardo da Vinci gehalten. Clara Bischop, die zu der Zeit gemeinsam mit Justus Brinckmann und Senator von Melle Mitglied in einem Komitee zur Förderung kulturwissenschaftlicher Studien und Vorträge gewesen war, hatte Warburg bei der Gelegenheit einen kostbaren Atlas mit anatomischen Zeichnungen da Vincis aus dem Nachlassihres Vaters geschenkt. Nicht ohne Hintergedanken, denn fortwährend war sie auf der Suche nach Spendern und Geldgebern für ihre zahlreichen Projekte. Tatsächlich hatte das Bankhaus M.   M.   Warburg kurz darauf nicht nur einen Betrag zum Bau eines Heims für gefallene Mädchen gespendet, sondern war dem Verein zudem noch mit einer Darlehenssicherheit für die Grundstückspacht behilflich gewesen. Ob es danach weitere Geschäftsverbindungen gegeben hatte, entzog sich Sörens Kenntnis. Soweit er sich erinnerte, war auch kein Vertreter des Bankhauses bei Claras Einäscherung zugegen gewesen, doch ein Kondolenzschreiben hatte man geschickt.
    Sören brauchte nur wenige Minuten vor der Börse zu warten, bis sich ihm die gesuchte Gelegenheit bot. Warburg und Ballin verließen die Börse, in ein Gespräch vertieft. Sie schienen keinen Blick für die Umgebung zu haben, sondern gestikulierten mit ihren Händen die geheime

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