Die Schattenflotte
damit war, denn Gelegenheiten dazu hatte es mehr als genug gegeben. Obwohl Adi Woermann ihm eigentlich noch immer etwas schuldig war. Seit fünfzehn Jahren. Damals hatte er seinem ehemaligen Klassenkameraden zu einem Wettsieg über dessen langjährigen Konkurrenten O’Swald verholfen, als es darum ging, wer von den beiden Afrikafahrern die schnelleren Segler besaß. Die Regatta, die er am Steuerstand von Adolph Woermanns Boot auf der Elbe gewonnen hatte, war Sören noch immer präsent, alswäre es letzten Sommer gewesen. Dabei realisierte er erst, wie viele Jahre es nun schon her war, seit er das letzte Mal unter Segeln auf dem Wasser gewesen war; ein eigenes Boot besaß Sören schon lange nicht mehr.
Vor allem aber war er überrascht, Adi bei einer solchen Veranstaltung zu treffen. Woermanns bewegten sich eigentlich auf einer anderen gesellschaftlichen Ebene. Als Kaufmann und Politiker war Adolph Woermann auf internationalem Parkett zu Hause, mit dem Erfolg seiner Afrika-Geschäfte und mit seinen entsprechenden Interessen hatte er die große politische Bühne betreten. Und das bereits in den achtziger Jahren, als er gemeinsam mit Reichskanzler Bismarck die Grundzüge der deutschen Kolonialpolitik als Interessenvertreter eines riesigen Handelsimperiums entworfen hatte. Seither galt er als King of Hamburg. Neben seiner eigenen Reederei, der Woermann Linie, hatte er sich als Aufsichtsratsmitglied der vor zehn Jahren gegründeten Deutschen Ost-Afrika-Linie ein weiteres Standbein im Reederei- und Handelswesen mit dem Schwarzen Kontinent geschaffen. Wenn es um Afrika ging, kam man an Woermann nicht vorbei.
Erst als das Licht gelöscht wurde, endete ihre Konversation, die streckenweise einem Balanceakt zwischen förmlicher Etikette und jovialen Floskeln geglichen hatte. Sie gaben sich abermals das Versprechen einer gegenseitigen Einladung, allein um von alten Zeiten plaudern zu können. Aber selbst wenn es diesmal tatsächlich dazu kommen sollte, bezweifelte Sören, dass Mathilda daran Spaß haben würde. Adis Angebot hingegen, man könne sich ebenso gut auf ein gemeinsames Mittagsmahl in der Stadt treffen, klang da schon realistischer, zumal ihrer beider Arbeitsplätze nicht so weit entfernt voneinander lagen und Sören schon immer einen Blick in Woermanns neuesKontorhaus an der Großen Reichenstraße hatte werfen wollen.
Natürlich hatten sie die Plätze nicht getauscht. Sören bedauerte es, Tilda nicht sehen zu können, aber er bildete sich ein, ihr Violinspiel aus dem Orchester heraushören zu können. Es war ihr Tag, und er gab sich die beste Mühe, wenigstens während des Konzerts nicht an David, Simon Levi und Waldemar Otte denken zu müssen, was ihm schwerfiel. Er lauschte dem Klang der Instrumente und hatte Tilda förmlich vor Augen. Dann gewannen Ottes Papiere doch die Oberhand, und erst der einsetzende Beifall des Publikums holte ihn aus seinen schweren Gedanken zurück in die Gegenwart.
«Es war phantastisch. Dieser Wunderknabe am Klavier, und du natürlich auch.» Nachdem Sören den Kamin im kleinen Salon angefeuert hatte, zog er die Schuhe aus und machte es sich auf der Chaiselongue davor bequem.
Tilda war kurz im Kinderschlafzimmer gewesen und hatte nach dem Rechten gesehen. Jetzt setzte sie sich zu Sören und betrachtete die Flammen, die im Kamin züngelten. «Nein, ich war unkonzentriert. Weil ich die ganze Zeit an dich denken musste. An uns.»
«Das tut mir leid.» Behutsam streichelte er ihre Füße, die sie unter ein Kissen geschoben hatte.
«Aber nun bin ich einigermaßen beruhigt. Man weiß also nicht, dass du …»
Sören schüttelte den Kopf. «Nein. Ich war heute im Stadthaus und habe mit Polizeirat Schön gesprochen. Sie sagen, es war ein Unfall. So stand es auch in der Zeitung.»
Tilda nickte. «Ich habe es gelesen.»
«Seit wann liest du den
Correspondenten
?»
«Ich habe alle Zeitungen gekauft, die ich kriegen konnte.»
«Kein Wunder, dass du dich nicht konzentrieren konntest. Und was meinst du?»
«Es macht mir Sorgen. Erst die Sache mit David, die mir unerklärlich erscheint. Er würde so etwas doch nicht tun. Dann der Tod des Zeugen, am nächsten Tag bricht man in dein Büro ein … Was ist da los? Worum geht es?»
«Wenn ich das nur wüsste. Möglicherweise geht es um Papiere, in deren Besitz Waldemar Otte war. Ich habe mir gestern schon zusammen mit Martin den Kopf zerbrochen, aber wir sind zu keinem vernünftigen Ergebnis gekommen. Irgendetwas müssen wir
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