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Die Schattenflotte

Die Schattenflotte

Titel: Die Schattenflotte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Wochen   … was rede ich, es gehen Monate ins Land. Ich muss einfach lernen, unseren Agenten in Übersee Vertrauen zu schenken, wie sie die Lage einschätzen   …»
    Es klang, als wollte Ballin ihm sein Herz ausschütten, und Sören wagte es nicht, seinen Redefluss zu unterbrechen. «Und dauernd fragt mich jemand, ob ich nicht für dieses und jenes Amt zusätzlich zur Verfügung stehen würde. Mitte letzten Jahres habe ich mich dazu hinreißen lassen, den Vorsitz des Vereins Hamburger Reeder zuübernehmen.» Ballin machte eine rhetorische Pause und schüttelte verständnislos den Kopf. «Ein undankbarer Job, mein lieber Doktor Bischop. Die meisten Reedereien in der Stadt sind ja immer noch Familienunternehmen und glauben, man könne ohne das Reich überleben.» Er rieb sich die Hände und schlug sich auf die Schenkel wie ein kleiner Junge, der gerade beim Ditschen gewonnen hatte. Dann lachte er fast gehässig auf. «Einige der noblen Herren bereuen es wohl schon, dass man den kleinen Juden gerufen hat.»
    «Durch Ihre Position als Direktor sollten Sie über den Dingen   …»
    «Generaldirektor», verbesserte Ballin und erhob sich kurz, als wolle er den Sitz seiner Kleidung kontrollieren. «Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Direktor und einem Generaldirektor?» Er ließ Sören keine Zeit zu antworten und imitierte mit einem spöttischen Grinsen auf den wulstigen Lippen einen militärischen Gruß.
    «Als Generaldirektor ist man General. Da wird nicht mehr hinterfragt, ob eine Entscheidung sinnvoll ist oder nicht. Mit diesem Rang hat man mehr als ein Mitspracherecht – vor allem gegenüber den ostelbischen Bürokraten im Reich. Letztendlich ist es heute nur noch die Religion, die einen auf eine andere Stufe stellt. Bei Hofe wird vielleicht darüber hinweggesehen, zumindest bei offiziellen Anlässen. Aber sonst? Der Teufel steckt im Detail, mein lieber Doktor Bischop. Es ist der alltägliche Antisemitismus, der einem begegnet. Selbst hier in dieser weltoffenen Stadt. Man möchte in der Öffentlichkeit nicht mit einem Juden an einem Tisch sitzen. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede   …»
    Sören dachte an die Speisehallen in der Auswandererstadt. Hatte Ballin nicht selbst dafür gesorgt, dass Judenund Christen ihr Essen in getrennten Räumlichkeiten zu sich nahmen? Oder war es vielleicht genau umgekehrt? Wollte man es den jüdischen Auswanderern nicht zumuten, gemeinsam mit jemandem an einem Tisch zu sitzen, der Schweinefleisch und unkoscher zubereitetes Essen zu sich nahm? Handelte es sich um die Besänftigung der Gemüter unterschiedlicher Kulturen, oder war es reiner Geschäftssinn gewesen, der ihn dazu veranlasst hatte, die Religionen räumlich voneinander zu trennen?
    «Man muss der Realität Rechnung tragen.»
    «In der Tat, mein Lieber, in der Tat. Aber ich langweile Sie mit meinen kleinen Sorgen. Sie sind ja aus einem anderen Grund gekommen.» Ballin nahm abrupt eine geschäftsmännische Pose ein. «Es ging um die   … Schichau-Werft. Richtig?»
    Er erhob sich und ging zu seinem Schreibtisch, wo er einem Ordner ein paar Blätter entnahm, die er rasch überflog. So schnell, dass man davon ausgehen konnte, dass er ihren Inhalt bestens kannte.
    Ballin nahm seinen Klemmer vom Nasenrücken und schüttelte den Kopf. «Nein, wie ich bereits vermutete. Es gibt keinen aktuellen Vertrag mit Schichau in Danzig.»
    Sören überlegte, mit welchem Stichwort er Ballin ein paar Informationen entlocken konnte. Viel wusste er ja nicht, und den Namen Otte wollte er keinesfalls selbst ins Spiel bringen. «Es hat wohl etwas mit dem Dampfer Kaiser Friedrich zu tun.»
    «Ach.» Ballin klatschte in die Hände. «Das hätten Sie gleich sagen müssen, dass es um den Schnelldampfer geht. Wir nennen den Kahn nur noch Turtle. Kennen Sie die Geschichte?»
    Sören schüttelte den Kopf.
    «Der Kaiser Friedrich wurde vom NorddeutschenLloyd bei Schichau in Auftrag gegeben. Ursprünglich sollte die Vulcan-Werft in Stettin den Auftrag erhalten, aber Schichau konnte deren Baupreis deutlich unterbieten. Und wie das dann so ist: Nach den ersten Probefahrten 1897 war schon klar, dass der Schnelldampfer die erforderliche Höchstgeschwindigkeit von über 21   Knoten nicht erreichen konnte. Das aber war vertraglich zwischen Lloyd und Schichau festgelegt. Die Werft hat mehrmals versucht, das Schiff umzubauen, aber der Pott kam einfach nicht in die Hufe. Tja – der Lloyd hat das Schiff letztendlich nicht abgenommen. Warum auch.

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