Die Schattenflotte
Hapag in einem möglichen Übernahmekrieg durch ein ausländisches Konsortium zu stärken. Für die zweite Möglichkeit sprachen die Informationen, die er von Adi erhalten hatte, wobei sein ehemaliger Schulfreund keinen Hehl daraus gemacht hatte, dass seiner Meinung nach die Macht der deutschen Handelsflotte untrennbar mit der Effizienz einer schlagkräftigen Kriegsmarine verbundensei, unter deren Schutz die überseeischen Handelslinien agieren konnten.
Dagegen sprach der Umstand, dass nicht nur die Vertreter der führenden Reedereien zu dem Gespräch geladen waren, sondern auch die großen deutschen Werften. Was aber konnten Werftenvertreter dazu beisteuern? Wenn Sören das Schreiben des Reichsmarineamtes richtig interpretiert hatte, dann hatte Waldemar Otte stellvertretend für die Danziger Schichau-Werft teilnehmen sollen. Aber die Schichau-Werft baute sowohl Handelsschiffe als auch solche für die Kaiserliche Marine, und in dem Schreiben war von der Havarie eines Kriegsschiffes die Rede gewesen. Auch wenn nicht dezidiert daraus hervorging, um was für eine Havarie es sich genau gehandelt hatte, so erinnerte sich Sören an mehrere Zeitungsberichte, wonach es auch mit dem Kaiser Karl dem Großen einen Zwischenfall gegeben hatte. Adolph Woermann hatte ihn darauf gestoßen, als er beiläufig erwähnte, dass es sich bei der Probefahrt und Übergabe des Linienschiffes morgen streng genommen um den zweiten Versuch handelte. Ursprünglich hatte das Schiff im Oktober letzten Jahres zum Jadebusen überführt werden sollen, jedoch war die Jungfernfahrt bereits auf der gegenüberliegenden Elbseite beendet gewesen, da der Kapitän den Tiefgang falsch eingeschätzt und das Schiff vor Neumühlen auf Grund gesetzt hatte. Die Beschädigungen am Unterwasserschiff waren so gravierend gewesen, dass das Schiff erst teilweise demontiert und anschließend zurück in die Werft geschleppt werden musste.
Wie Sören es auch wendete, des Rätsels Lösung blieb ihm verschlossen. Er musste mehr über dieses Treffen erfahren, und der einzige Weg, den er sah, war, selbst daran teilzunehmen. Nur, wie konnte er an Bord gelangen?Anfangs hatte er noch gehofft, das Schiff in Begleitung von Woermann betreten zu können, aber Adi hatte anderweitige Verpflichtungen. Sein eigenes Unternehmen sei ihm wichtiger, hatte er erklärt. Da würde er Präferenzen setzen, zumal ihm ein Ergebnis eines solchen Treffens ohne die Teilnahme von Ballin so oder so fraglich erschien. Als letzte Möglichkeit war Sören Willi Schmidlein eingefallen. Auch wenn der junge Ingenieur nach eigenem Bekunden nichts mit dem Bau von Schiffen Seiner Majestät zu tun hatte, vielleicht konnte er ihm doch helfen. Er hatte ihn gestern Morgen auf dem Weg zur Werft abgepasst und ihn gebeten, alle Möglichkeiten auszuloten, wie er auf dieses Schiff kommen könnte. Schmidlein hatte nur kurz genickt und gemeint, er werde alles versuchen. Bislang hatte er noch nichts von ihm gehört.
Die Ordnung in seinem Arbeitszimmer war inzwischen halbwegs wiederhergestellt. Fräulein Paulina hatte ganze Arbeit geleistet. Er selbst hatte eher das Gefühl, zu nichts mehr zu kommen. Die aktuellen Geschehnisse hielten ihn nach wie vor von den alltäglichen Arbeiten in der Kanzlei ab. Auf seinem Schreibtisch stapelte sich die unbeantwortete Korrespondenz. Selbst die wichtigen Angelegenheiten blieben jetzt liegen. Sören blickte auf die demolierte Tür des Tresors. Auch da musste er schleunigst für Ersatz sorgen. Die Polizei hatte sich wegen des Einbruchs noch nicht wieder bei ihm gemeldet, aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Wenigstens hatte Fräulein Paulina das Türschloss der Kanzlei austauschen lassen. Sören betrachtete seinen neuen Schlüssel. Über zwanzig Mark hatte der Einbau eines neuen, modernen Schließzylinders gekostet. Er bezweifelte jedoch, dass die moderne Technik einen versierten Einbrecher wirklich daran hindern würde, das Schloss auf die eine oder andere Weise zu knacken.Außerdem war ja zu befürchten, dass in diesem Fall die Polizei selbst …
Sören mochte den Gedanken mit all seinen Konsequenzen immer noch nicht zu Ende denken. Wer auch immer der Mann war, der ihn verfolgt hatte, er verfügte über gute Kontakte zur Polizei, und es stand außer Frage, dass der Einbruch auf sein Konto ging. Entweder hatte er es selbst getan oder jemanden beauftragt. Die ganze Situation wuchs ins Unerträgliche. Zu gern hätte er dem Gesicht einen Namen gegeben, aber selbst wenn es sich
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