Die Schattenflotte
brummiger Bariton hatte sich über die Jahre nicht verändert. Auch das kräftige Lachen, das im Wechsel dazu immer eine Zeit im Raum zu schweben schien, war noch das alte. Beides passte zu seiner mächtigen Erscheinung.Adi hatte seinen Vollbart etwas gestutzt, was ihn jünger aussehen ließ. Sein scharfer Blick, der ihm eine charismatische Strenge verlieh und von Leuten, die ihn nicht kannten, oft falsch interpretiert wurde, stand ganz im Gegensatz zu seinem eigentlichen Wesen. Sören wusste um sein weiches Gemüt, das viele ihm kaum zugetraut hätten. Zudem saß ihm der Schalk im Nacken. Andererseits war Woermann ein Mann klarer Worte, er war jemand, der es nie nötig gehabt hatte, lange um den heißen Brei herumzureden. Diese Direktheit hatte ihm nicht nur den Ruf des stolzen, aber störrischen Hanseaten eingebracht, sondern auch den eines kompromisslosen Geschäftsmannes. Sören konnte sich gut vorstellen, dass er als Verhandlungspartner ein schwerer Brocken sein konnte. Diplomatie war seine Sache jedenfalls nicht.
Sören hatte das Gespräch wie zufällig auf Ballin und die Hapag gelenkt. Eigentlich hatte er nur wissen wollen, ob die Schnellpassagen der Reederei sowie die Wettfahrten gegen den Norddeutschen Lloyd wirklich beendet waren, wie Ballin behauptet hatte. Woermann quittierte das mit einem spöttischen Grinsen und dem Hinweis auf den Hapag-Dampfer Deutschland, der vor zwei Jahren vom Stapel gelaufen und so kompromisslos auf Geschwindigkeit getrimmt worden war, dass man ihm wegen seiner Schlingerbewegungen schnell den Spitznamen The Cocktail Shaker gegeben hatte, aber dann kam Adi von sich aus auf ein ganz anderes Thema zu sprechen, und seine Stimme klang plötzlich ganz vertraulich. «Nein», begann er auszuholen, «Ballin plagen zurzeit ganz andere Sorgen. Ein Krake greift nach seinem Unternehmen.» Wieder dieses spitzbübische Lächeln. «Dabei ist es ja genau genommen nicht seins. Es heißt zwar in der Stadt, er sei die Hapag und die Hapag sei Ballin, und ich willdie Hochachtung darüber, was die kleine Knollennase aus der Hapag gemacht hat, nicht schmälern, aber die Hapag gehört ihm nicht. Und das Unternehmen ist in meinen Augen keine Reederei mehr. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn, wie unser Familienbetrieb, wie die Laeisz-Reederei … Und Ballin ist nur ein Angestellter, das sollte man nicht vergessen. Macht er einen Fehler und wird entlassen, dann hat er nichts. Gut, bislang hat er ein glückliches Händchen gehabt, aber glaubst du wirklich, es ist nur seinem Geschick zu verdanken, dass aus der Hapag die größte und bekannteste Linie auf den Weltmeeren wurde? Er hat das Schiff anfangs mit viel Fleiß auf den richtigen Weg gebracht, richtig. Aber das stete Wachstum und die Gier des kleinen, ehrgeizigen Juden haben einen Moloch entstehen lassen, der nicht mehr allein durch betriebliche Interessen zu steuern ist. Ein Unternehmen dieser Größenordnung ist nicht nur für das Reich ein Aushängeschild allererster Güte, sondern immer auch ein politisches Werkzeug.» Er zwinkerte Sören wissend zu. «Dazu noch ein sehr wirkungsvolles, denn hinter einer Aktiengesellschaft kann man sich verstecken, solange die Namen der Aktionäre nicht veröffentlicht werden.» Woermann blickte Sören fragend an.
«Mir ist bekannt, dass die Reichspostdampferlinien von Hapag und Lloyd vom Reich subventioniert werden», entgegnete Sören. «Aber die Unternehmen an sich?» Er dachte an die seltsamen Konten, die in Ottes Unterlagen aufgeführt waren und ahnte bereits, worauf Adi hinauswollte.
Der schüttelte nur den Kopf. «Nein, keine Subventionierung. Ich rede von Anteilen. Natürlich nicht direkt. Das Reich wird offiziell kein Großaktionär der Hapag sein. Aber da gibt es gewisse Umwege, Strohmänner,wenn du weißt, was ich meine. Großunternehmer, die gerne einspringen, weil es ihnen zum Vorteil gereichen wird.» Woermann machte eine gebieterische Geste. «Und nun bekommt Ballin die Rechnung für seinen Größenwahn. – Unter uns …» Adi zögerte einen Moment. «Hast du Aktien der Hapag?»
Sören schüttelte den Kopf.
«Dein Glück. Was ich dir erzähle, bleibt unter uns, ja?»
«Natürlich.» Sören spitzte die Ohren. Ganz plötzlich konnte sich nun das Blatt wenden, und er war gespannt, ob dann alles einen Sinn bekam.
«Sagt dir der Name Morgan etwas? John Piermont Morgan?»
«Der amerikanische Banker, Besitzer von United States Steel? Ja, ich habe von ihm gehört. Besser gesagt, habe ich
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