Die Schattenfrau
an.
»Wir sind uns schon mal begegnet«, grüßte Winter die Kleine.
»Zuletzt gestern«, sagte Bergenhem.
»Ich rede nicht mit dir.«
»Ach so.«
»Wie geht's?«, fragte Winter und strich mit dem Finger über die Wange des Mädchens. Die Haut fühlte sich so samtig an, wie nichts, an das er sich erinnern konnte.
»Es geht gut«, antwortete Bergenhem.
»Ich spreche immer noch nicht mit dir.«
»Es hat ihr die Sprache verschlagen«, scherzte Bergenhem. »Du hast Eindruck auf sie gemacht. Kannst du sie bitte mal herausheben?«
»Meinst du, ich soll es versuchen?«
»Ich kann in die Hocke gehen, wenn du willst.«
Winter streckte die Hände nach dem Kind aus. Ada begann, gellend zu schreien.
»Sie will nicht.«
»Sie testet dich nur.«
»Okay.« Winter hob Ada heraus, und sie verstummte. »Was mache ich jetzt?« Er hatte die Kleine dicht an sich gedrückt. »Nichts«, sagte Bergenhem.
Winter hielt die ungewohnte Last im Arm, und Ada guckte ihn neugierig an. »Ich hab gehört, Kinder in Adas Alter finden es nicht besonders lustig, nachts zu schlafen«, sagte er.
»Wo hast du das denn gehört?«
»Ich muss es wohl irgendwo gelesen haben. In einem Buch vielleicht.«
»Ada hat sich dazu noch nicht geäußert.«
Winter betrachtete Bergenhem nachdenklich. Der junge Kriminalinspektor war zehn Jahre jünger als er. Oder waren es elf? In diesem Moment schien es Winter umgekehrt zu sein. Lars besitzt Kenntnisse auf einem Gebiet, wo ich nicht mal als Lehrling zurechtkommen würde, dachte er. Was für ein Glück, dass Angela nicht mit hier ist.
Winter setzte das Kind vorsichtig auf den Boden.
»Wir sehen uns heute Nachmittag«, verabschiedete er sich.
»Ich fahre mit Janne«, erklärte Bergenhem. »Ist nicht mehr viel übrig in der ersten Runde.«
»Es ist bloß die erste.«
»Ja«, sagte Bergenhem. »Man hat das Gefühl, das Ganze ist wie ein Fluss, der gewissermaßen gewartet hat, dass die Schleuse geöffnet wird. Der Unterschied zu den früheren Stadien der Ermittlung ist immens. Die Leute scheinen gewissermaßen nur darauf gewartet zu haben, dass sie erzählen dürfen.«
»Manchmal kommt es einem vor, als wären darüber Jahre vergangen«, seufzte Winter.
»Gestern haben mehrere angerufen, die meinten, genau zu wissen, wo sich die Kleine befindet. Und einige haben es sich nicht nehmen lassen, bei der Gelegenheit gleich zu gestehen. Alles zu gestehen. Einfach alles.«
»Vorgestern auch.«
»Wir brauchen hundert Mann zusätzlich.«
»Mhm.«
»Aber das darf man wohl nicht laut sagen.«
»Du darfst sagen, was du willst«, meinte Winter und ging vor Ada in die Hocke und schnitt eine - wie er hoffte lustige -Grimasse.
»Vielen Dank«, sagte Bergenhem. »Mit dir rede ich doch gar nicht.«
Birgerssons Tisch glänzte vor Sauberkeit. Der Amtsleiter stand vor dem offenen Fenster und rauchte. Winter ließ seine Zigarillos in der Sakkotasche stecken. Birgerssons Gesicht wirkte bei Tageslicht, als hätte er einen Sonnenbrand.
»Diese Suche mit dem Schleppnetz hat sämtliche Journalisten des Landes auf die Story gebracht.« »Das ist vielleicht gut für uns.«
»Jetzt hast du so viele Spuren, dass du sie mit dem Eimer ausschütten kannst.«
»Jetzt heißt es, nicht zu ehrgeizig zu sein.«
»Bist du deswegen immer noch sauer?«
»Ja.«
Birgersson lächelte und klopfte die Asche ab in den Aschenbecher, den er aus der Schreibtischschublade geholt hatte. Same procedure, dachte Winter genervt. Immer dieselbe Prozedur. Birgersson hob den Kopf wie ein Hund, der horcht.
»Hörst du? Die Motorradbanden fahren wieder durch die Stadt.«
»Es sind jetzt weniger, seit die Sonne sich verzogen hat.« »Aber jetzt ist sie ja zurückgekommen.« »Das ist doch nicht vergleichbar.«
»Diese verdammte Schießerei in Hisingen. Wie heißt er... Bolander. Können wir den nicht anzeigen? Es gefällt mir nicht, dass er davongekommen ist.«
»Du weißt, wie die Sache liegt, Sture.«
»Ja, ja, es war mehr rhetorisch. Aber wir müssen da mehr tun. Ich weiß, wie es bei dir auf dem Schreibtisch aussieht, aber wir können solche verdammten Gangstermethoden hier nicht dulden. Und dann noch auf einem Platz mitten in der Stadt. Gangstermethoden! Gangsters!«
»Sicher, es sind Gangster.«
»Heißt das nicht Gangsters?«
»Gangster. Wir sind hier nicht in Amerika.«
»Eben. Das is t ein fremdes Element in unserem Land.«
»... dass es schon lange hier gibt.«
»In Dänemark haben sie sich gehalten«, sagte Birgersson. »Das ist
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