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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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ist. Die Psychiatrien schließen, und die Leute werden entlassen und kommen nicht zurück, weil es nichts gibt, wohin sie gehen könnten.«
    »Ja.«
    »Wir bekommen einige herein, die sich bei den einfachsten alltäglichen Arbeiten verletzt haben.«
    »Mhm.«
    »Es ist wirklich schlimm«, betonte sie.
    »Oft stürmen sie schreiend durch die Straßen oder brüllen in die Fenster«, sagte Winter.
    »Davon weiß ich nichts«, meinte sie. »Aber das ist auch eine Form von Einsamkeit. Niemanden zu haben.«
    »Niemanden zu haben«, wiederholte er. »Sind wir auch auf dem Weg dahin?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Lässt sich das heilen?«
    »Was?«
    »Die Gesellschaft. Ich weiß, dass das ein bisschen überspannt klingen mag. Aber manchmal frage ich mich das. Und du bist doch hier die Ärztin.«
    »Einsamkeit als unheilbare Krankheit der Gesellschaft? Das ist ja eine beängstigende Perspektive.«
    »Habt ihr nicht in irgendeinem Kurs mal darüber gesprochen?«
    »Während des Studiums? Damals war es noch nicht soweit.«
    »Jetzt geht's schneller«, stimmte Winter zu. »Möchtest du auch ein Butterbrot?«
    Der Anruf kam nach der Besprechung. Winter nahm ihn in seinem Büro entgegen. Er war darauf vorbereitet. Er hatte sich schon am Vortag so etwas erwartet, eigentlich schon seit zwei Tagen. Sie wussten schließlich von dem Kinderheim. Winter saß da, vor sich den Namen der Frau, die eben angerufen hatte. Es hatte nur wenige Minuten gedauert, es ihr beizubringen, und es war, als hätte Louise Keijser es schon geahnt.
    »Es geht um Helene Andersen«, sagte sie zögernd. »Von wo rufen Sie an?«, fragte Winter.
    »Helsingborg. Ich habe hier mit einem von der Polizei gesprochen, und er hat mir gesagt, ich solle mich an Sie wenden.«
    »Ja. Wir haben gerade eben den Bescheid bekommen.« »Ich bin... oder war... ihre Pflegemutter. Eine von mehreren, muss ich wohl sagen.«
    »Sprechen Sie erst einmal nur von sich, bitte«, sagte Winter. »Sie haben Helene Andersen wieder erkannt?«
    »Ja... «
    »Wann?«
    »Ja... Ich habe das Foto im Helsingborgs Dagblad gesehen, und dann haben sie davon im Fernsehen gesprochen, und ich habe geraten, dass es... Helene war.« Es trat eine Pause ein. »Ich wohne in Helsingborg«, fügte sie hinzu.
    »Wann haben Sie Helene zum letzten Mal getroffen?«, fragte Winter.
    »Oh, das ist viele Jahre her.« »Viele Jahre? Wie viele?«
    »Wir haben keinen Kontakt gehabt seit... Vielleicht sind es jetzt... Lange bevor Johannes starb, das ist mein Mann... Helene ist vor vielleicht zwölf Jahren von hier weggezogen... Ich habe irgendwo die Papiere, ich kann sie raussuchen.«
    »Aber Sie haben sie auf den Fotos in der Zeitung wieder erkannt?«
    »Ja... Ich wusste nicht, dass sie ein Mädchen hatte. Sie sahen sich auf den Bildern so ähnlich.«
    »Ich möchte gern, dass Sie herkommen, Frau Keijser. Wäre das möglich?«
    »Nach Göteborg?«
    »Ja.«
    »Ich bin nicht mehr ganz jung, aber selbstverständlich kann ich mit dem Zug fahren, wenn es nötig ist.«
    Winter sah auf die Uhr. »Es ist noch früh am Tag. Ob Sie so schnell wie möglich einen Zug nehmen könnten? Wir können für Sie einen Platz reservieren lassen und Sie dann anrufen und Ihnen Bescheid sagen, wann der Zug geht. Wir holen Sie am Bahnhof ab und buchen für Sie eine Übernachtung im Hotel.«
    »Ich habe Bekannte in Göteborg... «
    »Wie Sie möchten, Frau Keijser.«
    Endlich konnte er einer Spur nachgehen. Vielleicht mehr als einer. Genügend verschiedenen, um allmählich die Grundzüge eines Musters zu erkennen.
    Winter hatte von Birgersson und Wellman eine ausreichende Zahl von Polizisten zugeteilt bekommen, um sich schnell durch die Archive zu arbeiten und Fragen zu stellen. »Wir kämpfen gegen die Zeit«, hatte Birgersson gesagt. »Der Mörder ist eine Sache, aber seht zu, dass ihr das Mädchen findet.«
    »Das ist dieselbe Sache«, hatte Winter erwidert.
    Helene war bei drei verschiedenen Pflegefamilien untergebracht gewesen. Soweit er bis jetzt wusste, war sie nie von jemandem adoptiert worden. Sie war kurz in einem Kinderheim gewesen, nachdem sie mit einer Lungenentzündung, an der sie hätte sterben können, in das Sahlgrenska-Krankenhaus in Göteborg eingeliefert worden war. Sie war von einem Unbekannten in einem unbesetzten Wartezimmer auf ein Sofa gelegt worden. Ohne jede Mitteilung. Nur die Kleine, die in ihrem Dämmerschlaf plötzlich aufgeschrien hatte.
    Das alles wusste er inzwischen. Das Mädchen hatte wochenlang geschwiegen, und es

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