Die Schattenfrau
fühlt man sich da?«
»Wunderbar. Hie r hat eben alles einen besonderen Duft. Und man hat festen Boden unter den Füßen.«
»Wenigstens noch eine Weile«, ergänzte Lotta.
»Ich könnte mir vorstellen, noch einen Whisky zu trinken«, sagte Peter Krumlinde.
»Ich gehe schon.« Lotta nahm Peter Krumlinde das Glas ab.
»Nicht du«, wehrte er ab. »Es ist dein Geburtstag.«
»Ich bin so gern Gastgeberin«, entgegnete sie und zwängte sich mit einem Lächeln nach allen Seiten durch die Menschenmenge.
47
Die langen Tische waren T-förmig zusammengestellt. Das Esszimmer war größer als das Wohnzimmer. Als Kind hatte Winter hier gesessen und darauf gewartet, dass die langen Mahlzeiten mit Verwandten und Freunden seiner Eltern vorbeigingen, damit er wieder auf sein Zimmer gehen durfte.
Ganz genau so war es nicht, die Mahlzeit durfte gern noch eine Weile dauern, aber dann könnte er wieder auf sein Zimmer mit der Aussicht über den Fattighusän gehen und seine einsame Jagd fortsetzen. Der Kontrast zwischen der herzlichen Stimmung in diesem Raum und den zerrissenen Existenzen, mit denen er sonst konfrontiert wurde, erinnerte ihn an die Bilder: Sonne und Regen gleichzeitig. Eine unsichtbare Mauer teilte die Welt.
»Du scheinst lost in space«, meinte Peter Krumlinde, der neben Winter saß und gerade sein Glas nachfüllte. »Was?« Winter zuckte zusammen. »Eben. Weit weg.« »Eher lost in the world.« »Du kommst doch sicher damit klar.« »Na ja.«
»Klar«, fuhr Peter Krumlinde fort, während er auf einer Olive herumkaute und mit zwei Fingern den Stein aus seinem Mund fischte. »Du kannst nicht einfach beiseite legen, womit du dich gerade beschäftigst, nur weil heute gefeiert wird.« Er nahm noch eine Olive. »Das verstehe ich. Aber denk an deine Schwester. Versuch, wenigstens so auszusehen, als wärst du... dabei.«
»Sie ist schon froh, dass ich hier bin. Glaube ich. Ich freue mich ja auch, hier zu sein. Es ist mal was anderes. Feste rangieren sonst nicht an erster Stelle in meinem Leben.«
»Was ist denn das?«, fragte Krumlinde und trank aus seinem Glas. Er hielt ein Tellerchen vor sich in die Luft. »Oliven vielleicht?«
»Genau«, sagte Winter. »Oliven und Sardellen.«
»Also mir reicht das«, meinte Krumlinde. »Und ein Tenorsaxophon.«
Winter schwieg. Er vermisste seinen Jazz. »Lässt du dir immer noch von den blauen Noten helfen, deine Fälle zu lösen?«, fragte Krumlinde. »Mehr denn je.« »Mit deiner Trompete?« »Nein.«
»Du hast doch selbst gespielt in deinen wilden Jugendjahren.« »Damit war es nicht weit her.«
Der Morgen war ein trüber. Winter trank Kaffee mit Milch und las die Zeitungen. Michael Brecker tönte durch die Wohnung, aber nicht laut.
Die schlimmste Aufregung hat sich gelegt, stellte Winter fest und las die neuesten Äußerungen des Polizeipräsidenten Wellman zu seinem Fall. Wellman verstand sich gut darauf, etwas breitzutreten, wo es eigentlich nichts zu sagen gab. Auf seine Weise ist er ein ausgezeichneter Kripochef, dachte Winter. So weit bringe ich es nie. Würde ich auch gar nicht aushalten.
Die Nachricht war auf drei Spalten auf der ersten Nachrichtenseite und eine kleine Einleitung auf der Titelseite geschrumpft. Brigitta Dellmar war der Presse unbekannt. Zumindest schrieben sie nichts über sie.
War ihr Name in dänischen Zeitungen aufgetaucht, damals?
Sie hatten die Verbindung des Falls nach Dänemark der Presse erfolgreich verschwiegen. Bisher. Das würde ihnen nicht mehr lange gelingen. Vielleicht wäre es sogar von Vorteil, einen Teil unserer Erkenntnisse durchsickern zu lassen. Winter wollte aber erst einmal selbst nach Dänemark fahren, um sich vor Ort ein Bild von dem Geschehen zu machen, vielleicht ein Gefühl dafür zu bekommen, was sich damals ereignet hatte.
Es war inzwischen offensichtlich, dass der Fall in Aalborg große Bedeutung für ihre Ermittlungen hatte, und vielleicht sogar von entscheidender Bedeutung für die Aufklärung des Mordfalls war.
Winter brühte sich frischen Kaffee. Er hatte Lottas Geburtstagsfeier etwa um eins verlassen und war mit dem Fahrrad nach Hause geradelt. Die drei Gläser Wein am frühen Abend zeigten keine Wirkung mehr.
Sie hatte ihn in der Diele fest an sich gedrückt, und er hatte an ihrem Kopf vorbei beobachtet, wie die Fete im Zimmer hinter ihr in die dritte, vierte Phase überging.
Winter ging ins Wohnzimmer und schaltete den CD-Player aus. Am Schreibtisch schlug er in seinem kleinen Buch mit dem rotem
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