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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Schreibtisch gesetzt. Es war fast Mittag. Durch die großen Fensterscheiben schien die Sonne ins Zimmer. Er hatte die Balkontür geöffnet und lauschte dem spärlichen Sonntagsverkehr. Eifrig im Wind diskutierend, flog ein Schwarm Möwen vorbei. Verdammte Banditenbande. Winter musste lächeln, als ihm Macdonalds Ausdruck einfiel.
    Das Lachen verging ihm, als er wieder auf die Fotos vor sich blickte. Brigitta Dellmar. Ein Foto war drei Wochen vor Brigittas Verschwinden aufgenommen worden. Sie war am Montag, dem 2. Oktober 1972, wenige Minuten nach fünf Uhr nachmittags verschwunden, und dieses Bild war in einem Atelier im Westen Göteborgs auf den Tag drei Wochen vorher aufgenommen worden. Die Polizei hatte es damals in ihrer Wohnung in Västra Frölunda gefunden. Gab es irgendeinen besonderen Grund dafür, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt hatte fotografieren lassen? Winter studierte das Gesicht auf dem Bild. Sie schien an der Kameralinse vorbei jemand anders anzusehen, der wohl neben oder hinter der Kamera gestanden hatte. Ihre Tochter? War es Helene, die so indirekt auch auf dieser Fotografie verewigt war?
    Mutter und Tochter sahen sich wirklich ähnlich. Der breite Mund mit den vollen Lippen. Die weit auseinander stehenden Augen. Das blonde Haar. Die hohen Jochbeine. Es waren schöne Frauen. Und verschwanden etwa im gleichen Alter, dachte Winter.
    Jennie hatte von ihrer Mutter und Großmutter das Gesicht und von jemand anders das Haar geerbt. Was war das für ein Mensch, der sein Kind im Stich lassen konnte? Wo hielt sich Jennies Vater auf? War er tot? Wer war Helenes Vater? Einer von denen, die bei dem Raubüberfall getötet wurden? Oder auch verschwanden? Der Mann, der im Limfjord aufgetaucht war?
    Wer war Helenes Vater?
    Diese Frage barg einen Teil der Lösung des Rätsels, das war Winter klar. Vielleicht sogar die ganze Lösung. Der Schatten der Vergange nheit fiel weit in die Zukunft.
    Brigitta trug einen eng anliegenden Pullover, wie er damals modern gewesen war. Der Rand des Bildes schnitt ihn dort ab, wo die Schultern in die Arme übergingen. Wusste Brigitta, was sie erwartete? Nicht alles... aber wusste sie schon, was drei Wochen später passieren würde? Kannte sie die Pläne für den Banküberfall? War es wirklich sie, die dabei gewesen war? Winter zweifelte noch immer, obwohl er die Beweise kannte. Auf dem Foto hielt sie den Kopf ein wenig schräg, ihre Haltung hatte etwas Unterwürfiges. Sie war allein auf dem Bild. Keine Requisiten. Das Atelier, in dem sie saß, strahlte kalte Einsamkeit aus. Das Bild war schwarzweiß. Es hätte Winter gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Er dachte nicht in Farbe, wenn er Helenes Mutter vor sich sah. An Helene erinnerte er sich in Rot und in dem Eisblau, das die Räume in der Pathologie beherrschte. Und Jennie? Da sah er schwarz...
    Winter fuhr mit dem Fahrrad über Heden. Studenten spielten im Matsch Fußball.
    Im Eingangskorb seines Büros wartete ein Fax auf ihn. Die dänischen Kollegen freuten sich auf sein Kommen. Das war vielleicht nicht einmal gelogen. Der unaufgeklärte Raubüberfall und der Tod des Polizisten hatte die Polizei in Aalborg bestimmt die ganzen Jahre über gequält.
    »Und denk daran, dass ein Kommissar in Dänemark Inspektor ist und ein Inspektor Kommissar«, erinnerte ihn Ringmar, als sie am Ende der morgendlichen Besprechung zusammen Kaffee tranken.
    »Dann bin ich dort Inspektor Winter?« »Nur damit du Bescheid weißt.« »Das werde ich schon schaffen.« »Wann fährst du?«
    »Morgen. Ganz früh. Mit dem Katamaran.«
    Ringmar schwieg, rührte mit dem Löffel in der Kaffeetasse.
    »Es ist wichtig, Bertil. Ich meine, ich werde dort im Moment mehr gebraucht als hier.«
    »Ich glaube, du hast Recht. Es ist nur, als würdest du rüberfahren, um etwas festzustellen, was wir wissen. Nämlich, dass dieser Bankraub passiert ist. Und währenddessen arbeiten wir weiter, aber ziellos, ohne richtige Spur, die wir verfolgen könnten.« Ringmar sah sich um. »Wir schrumpfen langsam auf die Kernmannschaft. Und bei der Suche nach dem Mädchen kommen wir auch nicht weiter. Die Leute lassen schon die Köpfe hängen.«
    »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, bemerkte Winter. »Ich lasse den Kopf nicht hängen. Du nicht«, - Bergenhem kam in die Kantine -, »und Lars auch nicht.«
    »Was?«, fragte Bergenhem von der Kaffeemaschine herüber. »Wir freuen uns darüber, dass keiner in der Abteilung den Kopf hängen lässt«, sagte Ringmar.

48
    Winter

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