Die Schattenfrau
durchzugehen. Außerdem war es zur Routine geworden, bei der Annahme einer Vermisstenanzeige auch gleich die Angabe zu notieren, welcher Zahnarzt die vermisste Person behandelt hatte. So konnten sie sich bei Bedarf mit diesem in Verbindung setzen und die Gebissbeschreibung zum Odontologen in die Gerichtsmedizin bringen. Das war oft die schnellste Methode, die Identität einer Leiche festzustellen. Der Odontologe röntgte die Zähne des unbekannten Opfers und verglich anschließend das Bild mit der vorliegenden Zahnkarte. Manchmal reichte es auch, Zahnstatus und Zahnkarte einfach nur nebeneinander zu legen.
Winter wartete gespannt auf das Ergebnis dieser Arbeit.
Zusätzlich würde natürlich eine Untersuchung der DNS vorgenommen werden.
Die interne Fahndung hatte also routinemäßig begonnen: Melderegister durchgehen, die Schlüsselfragen in den Computer eingeben.
Sie würden die gesamte Verbrecherkartei durchforsten, in der Hoffnung, dass die Frau früher einmal festgenommen und inhaftiert, vielleicht sogar verurteilt worden war und dass ihre Fingerabdrücke ihnen helfen würden, den Mörder zu finden. Aber die Wahrscheinlichkeit war gering.
Im Polizeiblatt SPAN würden sie das Foto schalten und darauf hoffen, dass ein Kollege sie auf dem Bild in der Zeitung, die vierzehntägig erschien, wieder erkannte. Eine Fotografie der Toten, auf der kaum spürbar war, dass die Frau verstorben war, lag vor Winter auf dem Schreibtisch: Sie sah aus, als gehörte sie noch in diese Welt, schien nur auszuruhen.
Winter dachte daran, dass die Frau einmal Mutter gewesen war.
Sie würden bei allen, die in der Nähe des Fundorts wohnten, an die Tür klopfen, Zeitungsausträger und andere, die in der Nacht unterwegs sein konnten, ausfindig machen.
Sie würden die Taxis überprüfen. Diese Aufgabe bekam Halders zugewiesen, und trotz seines Interesses für Autos verzog er das Gesicht. Das ist doch sinnlos, dachte er, aber er sprach es nicht aus.
»Ich weiß, dass du das für überflüssig hältst, aber es muss gemacht werden«, sagte Winter.
»Diesmal könnte der Fall anders liegen«, lenkte Halders ein. »Es muss ein paar Fahrten vom und zum Sportzentrum gegeben haben. Aber der Teufel soll sie holen, diese Taxifahrer, wenn sie was gesehen haben und keine Meldung machen. Früher war das anders.«
Früher war es tatsächlich anders, besser, dachte Winter. Früher hatte er den Hörer abnehmen und 173000 wählen können, und die Taxizentrale hätte eine Mitteilung an alle Fahrer gefunkt, Winter anzurufen, und das Arbeitsleben eines Fahnders war gleich ein wenig einfacher gewesen.
»Die Konkurrenz der Taxiunternehmen macht die Fahndungsarbeit kaputt«, schimpfte Halders. »Die neuen Gesellschaften... Wie viele von denen, die da arbeiten, sind denn noch weiß? Die sind doch schwarz und gelb und grün und Ich-weiß-nicht-Was. Wie viele von denen würden einer näheren Überprüfung durch die Einwanderungsbehörde standhalten? Diese verdammten Fahrer lassen doch freiwillig nichts von sich hören, die nicht.«
Winter drehte sich zur Tafel um, aber Halders fuhr unbeirrt fort: »Nehmt den Mord auf dem Ramberget letztes Frühjahr. Wie viele Taxis sind in der Nacht den Berg rauf- und runtergerast? Zwanzig? Dreißig? Und wie viele von den Fahrern haben sich bei uns gemeldet? Nicht ein Einziger!«
Halders blickte sich Aufmerksamkeit heischend um.
Die Einwanderungsbehörde!, dachte Winter bei sich. Die Frau könnte eine ausländische Mitbürgerin sein. Sie müssten die Akten der Behörde durchgehen. Interpol. Immer mit der Ruhe!, Winter. Er blickte auf die Pfeile und Ziffern, die er gemalt hatte. Sie hatten fast nichts. Auch das war doch immerhin ein Ausgangspunkt.
Es war elf Uhr. Ringmar und er saßen in Winters Zimmer. Winter rauchte am offenen Fenster, aber bei der Hitze machte das keinen großen Unterschied. Der Rauch stieg zur Decke, breitete sich aus und fiel wieder auf sie beide herab. Ringmar hustete. Winter legte den Zigarillo in den Aschenbecher.
»Tja, willkommen zurück im wirklichen Leben«, begann Ringmar.
»Es wurde sowieso allmählich langweilig. Im Urlaub.«
»Wär gut, ein Hobby zu haben«, meinte Ringmar. »Da ist die freie Zeit besser ausgefüllt.«
»Ich bin Rad gefahren und schwimmen gegangen«, sagte Winter. »Und hab Rockmusik gehört. Das mit dem Rock könnte ein Hobby werden. Jazz ist Arbeit, aber Rockmusik war ein gutes Hobby. Man braucht Zeit, um sie hören zu lernen.«
»Ja, einfach furchtbar«, meinte
Weitere Kostenlose Bücher