Die Schattenfrau
und begann zu träumen.
24
Ringmar verließ sein Büro, ging in die Kantine und setzte sich an einen der Tische. Draußen lärmte ein Megafon und verstummte abrupt. Die Menschenmenge auf dem Platz vor dem Gebäude erschien größer als sie war. Das lag an der Perspektive, die er von seinem Platz aus hatte.
Halders kam herein und holte sich eine Tasse frisch aufgebrühten Kaffee. Er setzte sich an Ringmars Tisch und hob den Blick zum Fenster.
»Was für ein Halligalli.«
»Siehst du das so?«, fragte Ringmar.
»Passt dir nicht, wie ich spreche?«
»Tja...«
»Zu respektlos? Vielleicht hast du Recht, aber ich habe in erster Linie die Schaulustigen gemeint.«
Es war der zweite Tag nach dem, was in der Abendzeitung der Stadt unter anderem als »Terror« bezeichnet worden war. Sie hatte zweihunderttausend Exemplare abgesetzt, und das war kein Wunder. Es war, als wäre Göteborg explodiert, zumindest Teile der Stadt. Die Untadeligen sagten, das habe man erwartet. Auch Birgersson hatte das gesagt, auf seine Weise und obwohl er nicht wirklich ein untadeliger Bürger war. Zumindest nicht nach Ringmars Meinung.
»Und dabei sollten wir solchen Entwicklungen zuvorkommen«, sagte Ringmar zu Halders.
»Was meinst du damit?«
»Bei uns von der Fahndung, setzt man doch voraus, dass wir unsere Fühler ausstrecken, die Lage allzeit unter Kontrolle haben. Immer ein wenig weiter vorausschauen als die anderen.«
»Wer könnte so was voraussehen?« Halders winkte mit der Hand Richtung Stadion, wo das Drama noch immer nicht zu Ende war.
»Mir geht die Sache am Värväderstorget nicht aus dem Kopf.« »Wie geht es Stälnacke?«
»Er hat viel Blut verloren«, antwortete Ringmar, »aber er kommt durch. Er wird wieder laufen können.«
»Die Frage ist, ob er auch wieder pissen kann«, sagte Halders, »um nicht davon zu reden, ob er auch... «
»Wir können ja nicht überall unsere Leute haben«, unterbrach ihn Ringmar.
»Wer kann schon solche Entwicklungen voraussehen?«, meinte Halders.
»Wir müssen«, beharrte Ringmar.
Halders schnaubte verächtlich durch die Nase. »Müssen wir uns also mal wieder zerreißen, was?«
»Wir müssen die ergreifen, die geschossen haben, und zwar so schnell wie möglich.«
»Das klingt doch nach einer richtigen Aufgabe«, sagte Halders. »Was, wo man sich reinwühlen kann.«
»Wie meinst du das?«
»Die Spuren vom Mord am Delsjön sind doch längst kalt. Das weißt du so gut wie ich. Egal, was Winter meint. Das liegt bestimmt daran, dass wir die Tote nicht identifizieren konnten. Ich habe das Gefühl, dass wir uns allmählich festfahren.«
»Sag das bloß nicht laut.«
»Ich hab es grad gesagt. Gibst du mir nicht Recht?« Ringmar antwortete nicht.
»Hör mal, Bertil, ich denke wie alle anderen hier. Es wäre eine verdammte Niederlage, wenn wir in diesem Mordfall nicht weiterkämen. Wenigstens näher dran an den Mörder. Vielleicht lösen wir ihn ja auch bald. Ich weiß nicht. Wir brauchen einfach mehr Anhaltspunkte.«
»Wir haben die Sache mit den Autos«, gab Ringmar zu bedenken. »Das ist doch was.«
»Das ist nur ein Schuss ins Dunkle«, sagte Halders, »aber okay. Ein Ford Escort. Immerhin etwas. Das bedeutet vor allem viel Arbeit.«
Ringmar schien zuzuhören, als das Megafon draußen wieder losbrüllte. »Das ist widerwärtig«, sagte er. »Was denn?«
Ringmar zeigte zum Fenster, antwortete aber nicht.
Die Tragödie vor dem Stadion ging weiter. Das für denselben Abend angesetzte Freundschaftsspiel zwischen Schweden und Dänemark musste abgesagt werden. Der schwedische Fußballverband hatte eine diskrete Anfrage an das Polizeipräsidium gerichtet, ob man glaube, der »Zwischenfall« könne vielleicht rechtzeitig beendet werden. Doch dafür gab es keine Garantie. Viele waren enttäuscht.
Der Mann in dem Bus war Kurde, und der Junge bei ihm war sein Sohn. Nach sieben Jahren in Schweden sollten sie zurück in ihr Heimatland abgeschoben werden. Der Junge hatte sechs Jahre in Schweden gelebt. Er sprach den Dialekt von Dalsland. Die Einwanderungsbehörde war überzeugt, dass der Mann und seine Familie aus dem nördlichen Iran stammten, und dorthin sollten sie abgeschoben werden. Die Türkei war als Alternative im Gespräch. Der Mann hatte behauptet, ihm drohten in beiden Ländern Gefängnis und vielleicht der Tod, aus verschiedenen Gründen, mit verschiedenen Henkern. Die staatliche Behörde, die von immer mehr Menschen Auswanderungsbehörde genannt wurde, pochte auf Gesetz,
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