Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
daneben.
    Winter beugte sich über Jonne, kniete sich hin. Jonnes Gesicht war weiß wie die Wand. Seine Lippen wirkten durchsichtig. Sein Unterleib war blutüberströmt, das hatten sie nicht sehen können von hinter dem Auto. Winter fiel auf, wie sauber Jonnes Schuhe und Strümpfe waren. Das blank geputzte Leder blitzte in der Sonne wie ein Spiegel. Sverker, der neben ihm kniete, richtete sich hastig auf und winkte den Krankenwagen näher, der mit quietschenden Reifen anfuhr. Das wirkte wie ein Signal auf alle, die am Boden lagen. Die Leute standen auf, aber viele zitterten so stark, dass sie sich wieder setzen mussten. Winter hörte Weinen. Ein ganzer Platz unter Schock. Winter konnte riechen, dass sich ein Mann, der versuchte die Straße zu überqueren, in die Hose gemacht hatte. Jetzt fuhren weitere Krankenwagen neben ihn auf den Platz. Und wie ein Ding aus einer anderen Welt ratterte eine Straßenbahn vorbei. Polizisten kümmerten sich um die Leute und suchten zusammen mit Sanitätern und Ärzten nach weiteren Verletzten. Jonne Stälnacke wurde vorsichtig in einen Krankenwagen gelegt und weggefahren. Winter merkte mit einem Mal, wie durstig er war.
    Es war so heiß, und deshalb war es merkwürdig, dass das Mädchen schon so lange nicht mehr herausgekommen war, um im Plantschbecken zu baden. Viele Tage nicht. So lange war es jetzt schon warm, dass sie nicht mehr genau wusste, wann sie das Mädchen zuletzt gesehen hatte. Und die Mutter auch nicht, aber so viel wusste sie noch in ihrem alten Kopf, dass sie eben nicht mehr richtig mit der Zeit mitkam. Elmer war nicht mehr da. Er hatte immer die Uhr aufgezogen oder gesagt, wann es Abend war. Es war schwierig zu wissen, wie viel Uhr es war, wenn so viel Zeit verstrich, bis es dunkel wurde. Aber jetzt ging es schneller, denn es ging auf den Herbst zu.
    Ester Bergman hörte die Kinderstimmen durch die Fensterritze. Sie hielt nichts davon, die Fenster aufzureißen, wenn es draußen warm war. Dann wurde es drinnen nur noch wärmer. Sie hatte eine angenehme Temperatur im Zimmer.
    Die Kinder sprangen ins Wasser, aber es war nicht viel los mit diesem Wasser. So nah am Meer, und doch konnten sie nicht hinfahren. Vielleicht wollten sie nicht. Manche konnten auch nicht, das wusste sie. All die kleinen Kinder mit den schwarzen Köpfen und ihre Mütter oder Tanten oder was sie waren, die im Schatten saßen. Vielleicht gab es dort kein Meer, wo sie herkamen. Wüste vielleicht, Berge oder so.
    Das Mädchen hatte keine schwarzen Haare. Nicht alle Kinder auf dem Hof hatten welche. Der Hof war groß, und sie konnte nicht einmal mit der neuen Brille bis zur anderen Seite hinübersehen. Manchmal hatte sie fast das Gefühl, es sei sogar zu weit, dort hinzugehen. Ein Glück, dass der Durchgang aus dem Hof so nahe lag und sie noch selbst zum Laden gehen konnte.
    Ester Bergman nahm die Brille ab, putzte sie und setzte sie wieder auf, aber es war, als wäre trotzdem noch Schmutz darauf. Vielleicht lag es an den Augen. Sie sollte sich freuen. Fünfundachtzig Jahre, und sie konnte noch fast über den ganzen Hof sehen und eine Weile Zeitung lesen, ehe sie müde wurde, oder fernsehen, wenn es etwas für sie gab. Oder einen der Aushänge lesen im Laden. Das war eine Abwechslung. Es gab immer etwas, das die Leute brauchen konnten oder loswerden wollten. Es machte ihr Spaß, diese Mitteilungen zu lesen.
    Sie glaubte, dass das Mädchen an einem der Treppenaufgänge links an der Schmalseite wohnte, aber sie hatte es nie dort hineingehen oder herauskommen sehen, denn der Giebel versperrte die Sicht. Vielleicht erinnerte sie sich wegen der roten Haare an das Mädchen und fragte sich deshalb, wo es war. Einige Kinder, die nicht dunkel waren, hatten helle Haare, aber kein anderes hatte rote.
    Das Mädchen war vor ihrem Fenster vorbei zum Spielplatz gegangen. Es rannte nie.
    Die Mutter hatte blondes Haar und saß immer für sich. Vielleicht erinnerte sie sich auch deshalb an das Mädchen, weil die Mutter nie mit jemandem redete. Sie blieben nie besonders lange auf dem Hof. Nach einer Weile nahm die Mutter das Mädchen bei der Hand, und sie gingen weg. Gingen wieder hinein oder verließen den Hof. Sie hatte sich oft gefragt, wohin sie wohl gingen. Aber was geht mich das an?, hatte sie gedacht.
    Die Mutter hatte geraucht, und das hatte sie gar nicht gern gesehen. Von den anderen Frauen im Hof rauchten nicht viele, soweit sie sehen konnte. Aber diese Mutter rauchte, wenn sie und das Mädchen an ihrem Fenster

Weitere Kostenlose Bücher