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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Die Baugenossenschaft plante ein Hoffest in einem der Höfe, aber es schien nicht für alle zu sein. Sie fragte sich, warum. Die Polizei hatte einen Anschlag gemacht wegen einer Frau, die verschwunden war. Sicher verschwinden oft Leute, dachte sie, und ihr fielen das rothaarige Mädchen und seine blonde Mutter ein, die beide so still und stumm waren, wenn sie vorbeigingen. Wo sie jetzt wohl sind?, fragte sie sich. Ich vermisse das kleine Mädchen. Ich habe ihr so gern zugeschaut, wenn sie im Sand gespielt hat.
    Ester hatte am Fenster gesessen und hinausgeschaut.
    Wohin waren sie gezogen? Sie bereute, nie mit dem Mädchen gesprochen zu haben. Wieder etwas, das ich bereue, dachte sie. Man bereut viel, wenn man alt wird. Das macht das Altwerden zur Last. Viele Alte haben eine Menge, was sie ungeschehen machen möchten, aber bei mir ist es beinahe umgekehrt. Ich bin traurig, dass ich keine Kinder bekommen habe. Wie komisch es ist, so was zu denken. Wir konnten keine Kinder bekommen, und es war vielleicht nicht meine Schuld. Vielleicht lag es an Elmer, aber er wollte sich nicht untersuchen lassen, und ich habe ihm die Entscheidung überlassen. Jetzt bereue ich es. Hätte ich damals nur gewusst, dass ich einmal alt würde und dasitzen und alles Ungetane betrauern würde. All die nicht begangenen Sünden.
    Sie las noch einmal den Anschlag am Brett. Sie musste sich anstrengen, denn die Schrift war winzig. Wenn sie wollten, dass die Leute es lasen, sollten sie daran denken, nicht so kleine Buchstaben zu nehmen.
    Auf dem Rückweg musste sie dauernd an das Mädchen denken, das so still gewesen war. Warum grüble ich so viel darüber nach? Schon seit Tagen.
    Sie kam am Büro der Baugesellschaft vorbei. Wohn-Service stand da. Das war doch neu, dieses Schild, auf dem in gut leserlichen Buchstaben stand, dass das Büro Montag bis Freitag 8-9 und Dienstag 16-18 geöffnet war? Da gab es jemanden, der hieß Gebäudebeauftragte und war zu den Öffnungszeiten da. Was war eine Gebäudebeauftragte? Sie wusste es nicht, aber es würde wohl jemand sein, der sich in der Umgebung und mit den Häusern auskannte. Heute war Mittwoch, überlegte Ester Bergman. Sie wollte am nächsten Morgen Radio hören, um sicher zu sein, wann es zwischen acht und neun Uhr war. Dann könnte sie zu dieser Gebäudebeauftragten gehen und fragen. Schließlich konnte sie nicht ständig herumlaufen und grübeln. Sie würde hingehen und fragen, wann und vielleicht wohin die Mutter und das kleine Mädchen umgezogen waren.

25
    In der Nacht fiel die Temperatur. Als Winter aufwachte, spürte er, dass sich die Luft in der Wohnung verändert hatte. Da war keine Spur mehr von der Hitze des Abends. Es roch auch anders, grüner, nicht mehr so weiß. Es war kälter und dunkler, als würde die Welt traue rn am Ende des langen Sommers. Der war ein für alle Mal vorbei, in rekordverdächtig hohem Alter dahingeschieden.
    Winter setzte die Füße vorsichtig auf den Parkettboden aus Fichtenholz und spürte die Kühle, ein angenehmes Gefühl an den Fußsohlen. Er gähnte. Eine Nachwirkung des Arbeitens bis spät in die Nacht, den Kopf über den Laptop gebeugt, den er durch die offene Schlafzimmertür noch mit hochgeklapptem Deckel auf dem Schreibtisch in der Wohnzimmerecke erspähen konnte. An diesem Morgen sah die Wohnung anders aus. Er hatte sich in den vier Monaten, in denen es keinen Schutz vor Licht gab, an den fast ständigen Sonnenschein in seiner Wohnung gewöhnt.
    Jetzt kam es ihm so vor, als wäre er umgezogen. Die Schatten fielen anders, veränderten die Konturen. Winter spürte, wie gut seinen Augen das gedämpfte Licht tat, das durch die geschlossene Wolkendecke drang.
    Er ging in die Küche und zog die Rollos hoch, ohne geblendet zu werden. Kein einziges Stück blauer Himmel. Ein leiser Nieselregen putzte die Markisen auf der anderen Seite des Parks blank. Die Straßenbahnen fuhren unter seinem Fenster mit einem Geräusch vorbei, das ihn an Schiffe auf dem Meer erinnerte. Ein Kind ließ auf dem Rasen seinen Hund laufen. Winter konnte nicht erkennen, ob es ein Junge war oder ein Mädchen, aber das Kind trug eine leuchtend gelbe Regenjacke und einen Südwester in derselben Farbe. Der Hund wälzte sich im Gras, stand auf und schüttelte sich, sprang steifbeinig zu dem Kind und leckte ihm die Hand.
    Winter tapste im Morgenmantel zurück ins Wohnzimmer und öffnete die Balkontür. Die Geräusche wurden deutlicher, als wäre er aus einer Kajüte hinaufgestiegen und an Deck

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