Die Schattenfrau
Geschichte zu schlucken. Dass der Mann in der Nacht allein durch gerade erst befriedetes Räuberland nach Hause gewandert sein wollte, war eine Sache. Aber dass Andrea Maltzer den verhältnismäßig kurzen Weg vom Parkplatz zur Raststätte auch allein zurückgelegt hatte? Warum hatte sie sich das Taxi nicht direkt zum Parkplatz bestellt?
War sie allein dort?, hatte Winter sich gefragt und sich eine letzte Notiz gemacht, bevor mitten in der Nacht die Außentemperatur sank.
Zwei Polizisten hatten fast eine Woche lang am Computer gearbeitet, um aus dem Fahrzeugregister Namen der Besitzer der in Frage kommenden Ford Escorts herauszusuchen. Sie sollten anfangen, die zu verhören, deren Kennzeichen mit dem Buchstaben H begann. Eine unsichere Sache, aber ein Anfang.
Ich weiß nicht... , hatte er gezögert, das Gesicht vom bläulichen Licht des Bildschirms angestrahlt. Ich weiß nicht, wohin das führen soll. Hoffentlich ist das nicht nur eine Beschäftigungstherapie. Winter hatte oft an die Frau gedacht. Helene ohne Namen. In seinem Innern war ihm klar, dass sie nicht weiterkommen konnten, solange ihre Identität nicht geklärt war. Ihm war auch klar, dass die andern das wussten.
Winter hob den Blick vom Laptop, wanderte in die Küche und stellte den Wasserkocher an. Er gab Teeblätter in eine Kanne und toastete zwei Scheiben Brot, die er von dem erst einen Tag alten Weißbrot abgeschnitten hatte, das er spät am Abend zuvor auf dem Heimweg gekauft hatte. Er hätte sich schnell Hose und Sweatshirt überziehen können und zu der kleinen Bäckerei auf der anderen Seite des Parks gehen können. Ich frage mich, warum ich es nicht tue, zweifelte er, jetzt, wo ich die Energie habe, und er ließ das Brot liegen. Zurück im Schlafzimmer warf er den Morgenmantel ab und streifte die kurze Hose und ein Hemd über.
Er kaufte ein frisches Rosenbrot und eine Brioche. Dann schlenderte er mit den nackten Füßen in Sandalen durch das Gras und spürte, wie die Zehen nass wurden. Er blickte gerade noch rechtzeitig nach unten, um nicht in einen frisch aussehenden Hundehaufen zu treten. Er erinnerte ihn an das Kind mit der leuchtenden Jacke und an den Hund, der offenbar in der Nässe glücklich gewesen war.
Der Regen, ungreifbar wie Dunst, sank weiter. Er fiel nicht, er sank nur in einem dichten Schleier herab, der zum größten Teil aus Luft bestand. Um Winter herum duftete es wunderbar nach Leben. Nach etwas, das er fast vergessen hatte. Der Vasaplatsen, zuletzt gelb und glühend heiß, veränderte sich vollkommen.
Er ging wieder hinauf und machte sich einen Cafe au lait statt des Tees, presste drei Apfelsinen mit der Hand aus und goss den Saft in ein Glas. Er aß das noch warme Brot mit Butter und Kirschmarmelade und dazu ein gekochtes Ei, das er schälte, teilte und mit frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer bestreute. Er trank zwei Tassen Kaffee und las die Zeitung. Danach fühlte er sich für alles gewappnet, was auch kommen mochte.
Ester Bergman streckte vorsichtig die Hand aus dem Fenster und fühlte die Nässe. Das tat gut auf der Haut. Sie hielt die Hand so lange hinaus, bis sich eine kleine Pfütze in ihrer faltigen Handfläche bildete. Sie fand, dass es viel dunkler aussah, jetzt, wo die Sonne nicht alles bleichte.
Ester Bergman war mehrere Tage im Haus geblieben, denn sie hatte sich nicht wohl gefühlt. Als sie vom Laden zurückgekommen war, waren ihre Beine ganz zittrig gewesen. Sie hatte sich hingelegt und war eingeschlafen und erst wieder aufgewacht, als es in dem Zimmer, in dem sie lag, schon finster war. Es war ihr schwer gefallen, aufzustehen und sich für die Nacht fertig zu machen, aber schließlich hatte sie es geschafft. Am nächsten Morgen hatte sie nicht zum Wohn-Service, oder wie das hieß, gehen können. Sie hatte an die Mutter und das Mädchen gedacht und dass sie an einem anderen Tag hingehen würde. Dann war die Frau von der Sozialeinrichtung gekommen, die Neue, deren Namen sie sich nicht merken konnte, und sie hatte in der Wohnung herumgewühlt und so getan, als ob sie sauber machte. Aber Ester Bergman wusste, dass die Neue nicht richtig putzte. Sie wusch ein bisschen ab, aber das war auch alles. Manchmal spült sie Geschirr ab, obwohl ich es schon gemacht habe, dachte Ester Bergman. Wenn sie nicht merkt, dass ich es beobachte, holt sie Gläser heraus und wäscht sie noch einmal ab, als könnte ich nicht selbst für mich und meine Sachen sorgen. Ich habe immer alles selbst gemacht, für mich und für Elmer
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