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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Leben hat, verleiht es einem wohl ein Gefühl der Macht, aus dem Dunkeln Pfeile auf Leute abzuschießen, die froh und glücklich sind.»
    Joanna schauderte. «Nicht gerade nett.»
    «Nein, nicht gerade nett. Ich könnte mir vorstellen, dass in diesen abgelegenen Dörfern ziemlich viel Inzucht getrieben wird – was heißt, dass es entsprechend viele Debile gibt.»
    «Wahrscheinlich doch jemand eher Ungebildetes, dem es schwer fällt, sich auszudrücken? Wenn jemand gebildet ist…»
    Joanna ließ ihren Satz unvollendet, und ich sagte nichts. Bildung als Allheilmittel, das ist ein Glaube, der es sich meiner Meinung nach allzu leicht macht.
    Wir fuhren durch die High Street, und ich musterte neugierig die wenigen Gestalten auf dem Gehsteig. Konnte es sein, dass hinter der friedvollen Miene einer dieser gestandenen Bauersfrauen Missgunst und Gehässigkeit schwelten, dass sich in diesem Augenblick schon der nächste Ausbruch rachsüchtiger Bosheit anbahnte?
    Aber ernst nahm ich die Sache immer noch nicht.
     
    II
     
    Zwei Tage später gaben die Symmingtons einen Bridge-Nachmittag.
    Es war ein Samstag – die Symmingtons hielten ihre Bridge-Nachmittage immer samstags ab, denn da hatte die Kanzlei geschlossen.
    Es gab zwei Tische. Die Spieler waren das Ehepaar Symmington, wir beide, Miss Griffith, Mr Pye, Miss Barton und ein Colonel Appleton, den wir hier zum ersten Mal sahen und der in Combeacre wohnte, einem Dorf etwa sieben Meilen entfernt. Er mutete wie die Karikatur eines alten Haudegens an: ein Mittsechziger, der gern «schneidig» spielte, wie er es nannte (was in der Regel dazu führte, dass seine Gegner unterm Strich gewaltige Summen einkassierten), und der von Joanna so begeistert war, dass er sie den ganzen Nachmittag förmlich mit den Augen verschlang.
    (Joanna war freilich auch ein Leckerbissen, wie ihn Lymstock zweifelsohne lange Jahre nicht zu Gesicht bekommen hatte, das musste selbst ich zugeben.)
    Als wir eintrafen, entnahm Elsie Holland, das Kindermädchen, einem reich verschnörkelten Sekretär gerade die Anschreibeblöcke. Sie glitt in demselben himmlischen Schweben über den Boden wie bei unserer ersten Begegnung, doch der Zauber wollte sich nicht wieder einstellen. Welch bittere Erkenntnis: Die schönste Figur, das schönste Gesicht nützten nichts. Nur zu deutlich bemerkte ich jetzt die übergroßen weißen Zähne – wie Grabsteine – und die Art, wie sie beim Lachen das Zahnfleisch entblößte. Und einen unseligen Hang zum Plappern hatte sie auch.
    «Sind es diese, Mrs Symmington? Wirklich zu dumm, dass ich nicht drauf komme, wo wir sie das letzte Mal hingeräumt haben. Es ist meine Schuld, ich weiß noch, ich hatte sie in der Hand, und dann hat Brian geschrien, weil seine Eisenbahn umgekippt war, und ich bin rausgerannt, und dann kam eins zum anderen, da muss ich sie in der Eile verlegt haben. Das sind sie nicht, das seh ich jetzt, sie sind ein bisschen gelb an den Rändern. Soll ich Minnie sagen, Tee um fünf? Ich geh mit den Kleinen nach Long Barrow, dann haben Sie nicht den Krach.»
    Ein nettes, gutmütiges, zupackendes Mädchen. Joannas und meine Blicke trafen sich. Sie grinste. Ich starrte kalt zurück. Joanna, dieses Miststück, weiß immer, was in mir vorgeht.
    Wir setzten uns zum Bridge.
    Nicht lange, und ich war über die Bridge-Fertigkeiten sämtlicher Lymstocker im Bilde. Mrs Symmington spielte hervorragend, und sie nahm das Spiel ernst. Wie viele entschieden unintellektuelle Frauen war sie nicht dumm und besaß eine gute Portion angeborener Raffinesse. Ihr Mann war ein routinierter, verlässlicher Spieler, vielleicht übertrieben vorsichtig. Mr Pye ließ sich nur als brillant bezeichnen. Er bewies geradezu unheimliche telepathische Fähigkeiten beim Bieten. Da der Nachmittag uns zu Ehren anberaumt war, wurden Joanna und ich Mrs Symmington und Mr Pye zugeteilt. Symmington fiel die Aufgabe zu, an seinem Tisch Öl auf die Wogen zu gießen und mit viel Taktgefühl zwischen den drei übrigen Spielern zu vermitteln. Colonel Appleton spielte, wie bereits erwähnt, «schneidig». Miss Barton war mit Abstand die schlechteste Bridge-Spielerin, die mir in meinem ganzen Leben untergekommen ist, aber sie war mit Feuereifer bei der Sache. Sie schaffte es zwar, Farbe zu bekennen, über- und unterschätzte die Stärke ihres Blattes jedoch aufs Aberwitzigste, konnte sich nie den Punktestand merken, spielte wiederholt aus dem falschen Blatt aus und war völlig außerstande, Trümpfe zu zählen –

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