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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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das so? Das ist ja sehr interessant. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wissen Sie. Ja, ich habe mir Gedanken gemacht.»
    «Was meinen Sie damit, Mr Pye?», fragte Joanna.
    Mr Pye spreizte seine gepolsterten Finger.
    «Nichts, nichts. Man macht sich so seine Gedanken, das ist alles. Ich glaube fest an Atmosphäre, müssen Sie wissen. Was die Leute denken, was sie fühlen. Das hinterlässt Spuren an Wänden und Möbeln.»
    Darauf antwortete ich nicht gleich. Ich sah mich um und überlegte, wie ich die Atmosphäre der Prior’s Lodge beschreiben würde. Es war seltsam, aber sie schien mir überhaupt keine Atmosphäre zu besitzen. Erstaunlich.
    Ich sann so lange darüber nach, dass die Unterhaltung zwischen Joanna und unserem Gastgeber völlig an mir vorbeiging. Erst als ich Joanna den Aufbruch einleiten hörte, kam ich wieder zu mir. Ich riss mich aus meinen Träumen und übernahm meinen Part.
    Wir traten in die Diele hinaus. Als wir die Haustür erreichten, schob sich ein Kuvert durch den Briefschlitz und fiel auf den Fußabstreifer.
    ‘«Nachmittagspost», murmelte Mr Pye, während er es aufhob. «Nun, meine lieben jungen Herrschaften, ich hoffe, Sie beehren mich bald wieder? Es ist ein solches Labsal, Menschen mit etwas weiterem geistigen Horizont um sich zu wissen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Menschen mit Kunstempfinden. Die braven Leutchen hier in der Gegend – wenn die das Wort Ballett hören, dann denken sie an die frivolen neunziger Jahre: Tüllröckchen und Pirouetten und alte Herren mit Operngucker. Was will man machen? Fünfzig Jahre hinter der Zeit zurück, so sehe ich das. Ein wunderbares Land, unser England. Es hat Nischen. Lymstock ist eine davon. Faszinierend aus der Perspektive des Sammlers – ich habe hier immer das Gefühl, mich freiwillig unter einen Glassturz begeben zu haben. Das friedliche Hinterland, wo nie etwas passiert.»
    Er schüttelte uns beiden zweimal die Hand, und dann half er mir mit übertriebener Fürsorglichkeit ins Auto“. Joanna setzte sich hinters Steuer, lenkte den Wagen sehr vorsichtig um ein Rondell makellosen Rasens, und als die schnurgerade Einfahrt vor uns lag, winkte sie unserem Gastgeber, der auf den Stufen vor dem Haus stand, noch einmal zu. Ich beugte mich vor und winkte ebenfalls.
    Doch unsere Abschiedsgeste blieb unerwidert. Mr Pye hatte seinen Brief geöffnet.
    Er stand da und starrte auf das auseinander gefaltete Blatt in seiner Hand.
    Joanna hatte ihn einmal als einen feisten rosa Cherub beschrieben. Feist war er immer noch, aber von einem Cherub hatte er nichts mehr an sich. Sein Gesicht war tiefviolett angelaufen, verzerrt von Verblüffung und Wut.
    In dem Moment wurde mir klar, dass mir der Umschlag bekannt vorgekommen war. Nicht, dass ich ihn bewusst wieder erkannt hatte – aber ab und an gibt es ja Dinge, die man registriert, ohne zu merken, dass man sie überhaupt wahrnimmt.
    «Oje», sagte Joanna. «Was hat der Arme denn?»
    «Ich vermute», sagte ich, «die Schattenhand war wieder am Werk.»
    Überrascht wandte sie mir das Gesicht zu, und der Wagen machte einen Schlenker.
    «Vorsicht, Weib», mahnte ich.
    Joanna konzentrierte sich wieder auf die Straße. Ihre Stirn war gefurcht.
    «Du meinst einen Brief, wie du ihn gekriegt hast?»
    «Ich nehme doch an.»
    «Wo sind wir hier hingeraten?», fragte sie. «Es sieht aus wie das unschuldigste, verschlafenste, harmloseste Fleckchen Erde, das man sich nur denken kann…»
    «Wo laut Mr Pye nie etwas passiert», fiel ich ein. «Er hat den falschen Augenblick gewählt, um das zu sagen. Es ist etwas passiert.»
    «Aber wer schreibt solche Sachen, Jerry?»
    Ich zuckte die Achseln.
    «Mein liebes Mädchen, wieso fragst du mich? Ein Dörfler mit Dachschaden, was weiß ich?»
    «Aber warum? Es scheint so idiotisch.»
    «Da musst du bei Freud und Jung nachlesen. Oder du fragst unseren Dr. Owen.»
    Joanna warf den Kopf in den Nacken.
    «Dr. Owen mag mich nicht.»
    «Er kennt dich doch kaum.»
    «Offensichtlich gut genug, um die Straßenseite zu wechseln, wenn er mich auf der High Street trifft.»
    «Eine höchst ungewöhnliche Reaktion», sagte ich teilnahmsvoll. «Und für dich eine höchst ungewohnte.»
    Joanna runzelte wieder die Stirn.
    «Nein, aber im Ernst, Jerry, warum schreibt jemand anonyme Briefe?»
    «Ich sag doch, weil er einen Dachschaden hat. Es wird irgendein Bedürfnis in ihm befriedigen. Wenn man zurückgewiesen oder ignoriert oder enttäuscht worden ist und sowieso ein eintöniges, leeres

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