Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
noch ein wenig geschwollen, doch seine Miene wirkte jetzt endlich gelöst und heiter.
Ido betrachtete ihn und schwor, dass er sich den Jungen, da er ihn nun endlich gefunden hatte, nicht mehr entreißen lassen würde. Niemand würde ihm ein Haar krümmen, zumindest nicht, solange er selbst noch lebte.
In den folgenden Tagen erwies sich San als fürsorglicher Krankenpfleger. Zweimal am Tag wechselte er den Verband, bereitete die Mahlzeiten zu und behandelte Ido pausenlos mit seinen Zauberkräften, wobei er offensichtlich dieses Können mit einem gewissen Unbehagen anwandte. Für Ido war es, als tauche er noch einmal in die Vergangenheit ein. Mit San kehrte er zurück in die Zeiten, als er in der Akademie die angehenden Drachenritter ausbildete und Nihal bereits unterwegs auf ihrer Mission war.
Eines Abends gab San sein Bestes, um aus einigen Wurzeln, die er in Idos Tasche gefunden hatte, eine Suppe zu kochen. Eine gute Stunde brachte er gebückt an der Feuerstelle zu, das Wams schweißnass durch die Wärme der Flammen, aber durch die Luft dort unten bei den Kanälen, die so nahe bei dem großen Vulkan lagen. Als er endlich fertig war, brachte er Ido die Suppe ans Bett und wartete, dass er als Erster davon kostet. Der Gnom führte den Löffel zum Mund und erlaubte es sich, die Situation ein wenig theatralisch auszugestalten. Er schnupperte lange und blies mit skeptischer Miene den Dampf fort. Derweilen wartete San gespannt auf sein Urteil. Ido hätte ihn noch länger auf die Folter spannen können, denn es machte ihm Spaß, nahm aber dann doch den ersten Löffel. Gar nicht so schlecht. Vielleicht ein wenig zu flüssig, aber doch schmackhaft. San hatte gut gekocht. »Hervorragend«, lobte er ihn.
Der Junge stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus und begann dann selbst zu essen. Während sie die Suppe schlürften, schaute Ido den Jungen immer wieder schweigend aus den Augenwinkeln an, doch erst als er fertig war, beschloss er, dass nun der Moment gekommen sei, San über den Ernst der Lage aufzuklären.
»Hast du dich mal gefragt, wer die Männer gewesen sein könnten, die euch überfallen und dich entführt haben?«, fragte er in das Schweigen hinein. San zuckte leicht zusammen. Er saß am Fußende des Bettes, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, und wartete wahrscheinlich darauf, noch weitere Abenteuergeschichten erzählt zu bekommen. Diese Frage hatte er offensichtlich nicht erwartet. Er schüttelte nur den Kopf.
»Die gehörten zur Gilde der Assassinen. Du weißt doch, was das für Leute sind, oder?«
Ido las es in seinem Blick, noch bevor der Junge etwas antwortete, diese Angst, die jeden überfiel, der diesen Namen nur hörte.
»Was wollen die denn von mir?«, fragte San erschrocken. »Sie wollen deinen Körper.«
San blickte Ido aus weit aufgerissenen Augen verständnislos an.
»Nun, in der Gilde glaubt man, der Tyrann sei eine Art Prophet, der das Ende der Welt einleitet. Und damit sie ihn wiederauferstehen lassen können, brauchen sie einen Körper. Denn seine Seele wurde bereits wiedererweckt, jetzt fehlt ihnen nur noch ein Auserwählter, den sie opfern können.«
San schwieg noch eine Weile und fragte dann, recht gefasst. »Aber warum ich?« »Weil du ein Halbelf bist«, antwortete Ido knapp.
Unwillkürlich griff sich San an seine spitzen Ohren unter dem Haar.
»Eigentlich bist du kein richtiger Halbelf, weniger noch als dein Vater, aber der Gilde genügt das. Und zudem bist du genau zwölf ...«
»... so alt wie der Tyrann, als er starb«, beendete San den Satz. Er war wirklich ein aufgeweckter Junge.
Ido nickte. »Ich wurde eigens ausgesandt, um dich zu suchen, oder genauer, um deinen Vater zu suchen, denn von deiner Existenz wusste ich überhaupt nichts. Ich wusste nur von Tarik, denn von diesem hatte mir dein Großvater Sennar geschrieben, und ich war überzeugt, die Gilde habe es auf ihn abgesehen.« »Und woher wusstest du überhaupt von der ganzen Geschichte?«
»Nun, der Rat der Wasser hatte einen Magier in die Gilde eingeschleust. Der lernte dort eine junge Frau kennen, die dann zusammen mit ihm fliehen konnte und uns alles verriet, was ihr über diese Vorgänge in der Sekte bekannt war.« San wirkte mitgenommen und verwirrt. Kein Wunder, dachte Ido. Nur eine Woche zuvor lebte der Junge noch sein normales, vielleicht angenehm eintöniges Leben in der Turmstadt Salazar, und nun hatte er nicht nur seine Eltern verloren, sondern erfuhr auch noch, dass er das Opfer von
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