Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
hat ja selbst viele Bücher geschrieben, und die habe ich alle verschlungen. Aus ihnen habe ich auch ein paar meiner Zaubertricks.«
Ido spitzte die Ohren. »Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel Tiere zu beherrschen. Zwei Worte, und sie rühren sich nicht mehr und schauen einen nur noch blöde an. Lustig, nicht wahr? Nur leider hat mich mein Papa einmal dabei erwischt, wie ich das ein paar Freunden mit einer Henne vorgeführt habe. Eigentlich hat er mich nie geschlagen, aber als er das sah, wurde er wirklich ganz furchtbar zornig. Er hat mich so verprügelt, dass meine Mama ganz böse auf ihn wurde. Aber das war noch nicht das Schlimmste: Außerdem hat er mir auch noch verboten, weiter zu zaubern, die Magie sei eine gefährliche Sache, sagte er, und lauter solche Sachen.«
Hasstest du deinen Vater so sehr, Tarik, dass du ihn aus deinem Lehen löschen musstest und aus dem deines Sohnes? Ido erschauderte.
»Einverstanden aber war er, wenn ich gefochten habe, mit dem Schwert. Das hat ihm gefallen. Ich sollte irgendwann einmal auf die Akademie gehen, stell dir mal vor. Ich wollte das auch, und eine Weile hat er schon nach jemandem gesucht, der mir helfen könnte, dort aufgenommen zu werden. Nur Mama sah das nicht gern.«
Du hast deinen Sohn nach deinen Wünschen geformt, den Spaß an der Magie in ihm erstickt und die Liehe zum Kampf gefördert. Nihal war immer in deinem Herzen, nicht wahr, Tarik?
»Aber du hast meine Großmutter ja gut gekannt. Was könntest du mir wohl für Geschichten erzählen ...«
Ido fragte sich, wie viele Leute noch auf der Welt waren, die Nihal persönlich kennengelernt hatten. Und mit Sicherheit kannte niemand sie so gut wie er. »Wie war sie denn? Solange ich denken kann, versuche ich schon, mir ein Bild von ihr zu machen. Sah sie so aus wie die Statuen, die überall aufgestellt sind?« »Sie war zierlicher, und ganz gewiss hatte sie nicht so ein grimmiges Gesicht, wie es ihr immer gemeißelt wird.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, antwortete San kichernd. »Sie sieht da so blutrünstig aus ... Ich habe die Geschickte der Drachenkämpferin gelesen und kenne das Buch fast auswendig. Danach habe ich sie mir auch anders vorgestellt. Das Sympathische ist ja, dass sie manchmal genauso Angst hatte wie wir auch, oder nicht?«
»Doch, das stimmt. Das habe ich ihr, glaube ich, beigebracht, dass Angst sogar eine sehr wichtige Sache sein kann.«
San sah ihn fragend an, und Ido bemerkte, wie sehr er seiner Großmutter glich. Es war, als sitze sie ihm jetzt auf diesem Lager gegenüber. In San war die gleiche Unruhe spürbar, die gleiche Skepsis, die gleiche Lebenskraft.
»Sie war wie eine Tochter für mich«, sagte er schließlich. »Ich habe ihr alles beigebracht, auch, mit welcher Einstellung man in den Kampf zieht und dass man zu der Furcht stehen muss, die einen in der Schlacht überkommen kann.« San hing buchstäblich an seinen Lippen, und Ido überkamen die Erinnerungen. »Erzähl mir doch mal was aus deinem Leben. Du bist so eine Legende! Auch über dich habe ich ganz viel gelesen. Papa hat ja nie geglaubt, dass du tatsächlich den Rat der Könige hintergehen wolltest, das sagte er mir einmal, als wir unter uns waren, und ich habe es natürlich auch nicht geglaubt. Aber das habe ich für mich behalten. Bei uns stehen ja alle auf Dohors Seite, und ich wollte keinen Ärger.«
Obwohl er müde war und sein Magen knurrte, hatte Ido Lust, von der Vergangenheit zu erzählen. Im Grund war dies ja alles, was ihm geblieben war. »Hol mal ein Stück Käse und ein paar Äpfel aus meiner Tasche. Während wir essen, erzähle ich dir ein wenig von früher.« San lächelte und sprang auf.
Bis in den Abend erzählte er dem Jungen eine Geschichte nach der anderen. Sein Repertoire war nahezu unerschöpflich. Geschichten aus dem Krieg, von Angst, Liebe ... Ja, sein Leben war wirklich reich an Anekdoten, und immer weiter noch füllte es sich mit Geschehnissen und Erinnerungen, während sein Körper wie Papier für jedes Abenteuer eine neue Narbe festhielt. San lauschte gebannt und vergaß darüber sogar zu essen, lachte, wenn es etwas zu lachen gab, weinte, wenn es traurig wurde. Erst als es schon reichlich spät war, begann er gegen die ersten Anzeichen von Müdigkeit anzukämpfen. Seine Lider wurden schwer, und Ido redete immer leiser und sanfter, damit er einschlafen konnte, und blieb dann später noch so lange an seinem Lager sitzen, bis er tatsächlich richtig schlief. Vom Weinen waren seine Augen immer
Weitere Kostenlose Bücher