Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
zusammenballte, dass die Fingerknöchel weiß wurden.
»Glaub mir, das ist unmöglich. Mein Vater hat mir die Wahrheit erzählt. Er hatte doch keinen Grund, mich zu belügen.«
Ido seufzte. »San ... dein Vater und dein Großvater ... nun ... die kamen nicht gut miteinander aus. Vielleicht hat Tarik deshalb ...«
San sprang auf, das Gesicht rot vor Zorn und Schmerz. »Mein Vater hätte mich niemals angelogen!«
»Er hatte sicher gute Gründe dafür«, erwiderte Ido, immer noch gelassen. Nun, da der Junge sich Luft machte, musste er ihn ernster nehmen, als wenn er weiter mit diesem verlorenen Blick auf dem Bett gesessen hätte. »Behandle mich nicht wie ein kleines Kind!« »Dann benimm dich auch nicht so.«
San biss sich auf die Lippen. Ido hatte ihn in seinem Stolz verletzt. Er bedachte den Gnomen mit einem verächtlichen Blick. »Ach, was weißt du schon von meinem Vater und von meiner Mutter? Du hast es ja noch nicht einmal geschafft, rechtzeitig zu kommen, um sie zu retten. Und ich bin entführt worden, während du nur zugeschaut hast. Und ohne mich hätte dich dieser andere Mann auch getötet!«
Es war boshaft, wie er das sagte, mit der deutlichen Absicht, Ido zu verletzen, und auch wenn er seine Worte vielleicht schon bereute, fügte er nichts hinzu, saß reglos da, den Unterkiefer angespannt, der Blick entschlossen. Der Gnom zeigte keine Schwäche, schlug nicht die Augen nieder. Diese Einschätzung war ihm nicht neu, er selbst hatte nach diesem verhängnisvollen Abend in Salazar schon Tausende Male darüber nachgedacht. Aus Sans Mund klang dieses Urteil nun noch härter, aber Ido durfte sich davon nicht entmutigen lassen.
»Ich bin ein verfluchter Alter, und möglicherweise hast du sogar recht«, erwiderte er nach einigen Augenblicken in ruhigem Ton. »Ich habe einen Fehler gemacht, und zwei Menschen sind gestorben. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut. Aber was soll ich machen? Alles aufgeben? Nein, ich muss weitermachen und weiter meine Pflicht tun, die darin besteht, dich zu beschützen. Und ich schwöre dir, noch einmal werde ich nicht versagen. Es stimmt, ich bin alt, aber ich kenne den Krieg.«
San hatte zu schluchzen begonnen, die Wangen gerötet, die Fäuste geballt. Den Kopf hielt er gesenkt, damit sich ihre Blicke nicht kreuzten, während er etwas murmelte, was der Gnom nicht verstehen konnte. Wie sehr hatte es Ido doch satt, immer wieder dieses Leid miterleben zu müssen.
Er lehnte sich zurück und überließ sich der Erinnerung an damals, als er seinen Bruder Dola auf dem Thron ihres Vaters hatte sitzen sehen, an den schneidenden Ton, in dem er ihm verkündete, dass der Vater tot und er sein Mörder sei. Er dachte an die Hinrichtung seines Bruders lange danach, dann an Soanas Tod und an Vesa, der ebenfalls gestorben war.
»Ich werde die Gilde eigenhändig vernichten, und dann wird alles wieder so wie früher sein!«, machte sich San mit kehliger Stimme Luft.
»Ja, und dann stehst du allein in einem Berg von Trümmern und fragst dich, was das gebracht hat.«
»Aber ich muss doch etwas tun!«, erwiderte der Junge und unterdrückte schluchzend die Wut.
Es war unglaublich, wie sich alles wiederholte, wie sehr sein Schmerz und seine Reaktion darauf an seine Großmutter Nihal erinnerte. Es war fast beängstigend. Er umfasste die Schultern des Jungen und zog ihn hoch. »Glaub mir, San, das ist nicht der richtige Weg. Du musst mir vertrauen!«
San drehte den Kopf zur Seite, zeigte, dass er noch nicht gewillt war, zur Vernunft zu kommen.
»Ich hab sie alle sterben sehen«, fuhr Ido fort. »Freunde, Feinde, Verbündete, die Frau, die ich liebte, meine gesamte Familie, sogar meinen Drachen. Ich bin allein, San, habe niemanden mehr, mit dem ich mich gemeinsam erinnern kann, etwa an das Fest damals, als deine Großmutter Nihal Drachenritterin wurde und sich fürchterlich betrunken hat, und der mit mir zusammen darüber lachen würde. Niemanden mehr, in dessen Adern mein Blut fließt, niemanden, der meine Kriegserlebnisse teilt. So sind wir nun allein, ich und meine Vergangenheit. Verstehst du, was ich damit sagen will? Und doch bin ich noch hier, San, weil letztendlich die Zeit Wunden heilen kann. Du bist noch jung und wirst lernen, das zu erkennen, was sich deine Eltern für deine Zukunft ausgemalt haben. Und das war gewiss nicht, von einer wahnsinnigen Sekte als Auserwählter geopfert zu werden, aber auch nicht, diese Sekte eigenhändig zu vernichten. Wenn du es zulässt,
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