Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
wird sich dein Blick auf die Dinge mit der Zeit verändern, und du lernst, an ihnen zu wachsen und damit den Schmerz zu überwinden. Und erst dann, wenn dir alles viel klarer ist, wirst du dich für einen Weg entscheiden. Aber wenn du jetzt deinem Hass nachgibst, verbaust du dir diese Möglichkeit.« San blickte ihn aus tränenverhangenen Augen an, ein Blick, der noch voll jener naiven Lebendigkeit war, wie sie sich nur Jungen seines Alters bewahrt haben. Er erwiderte nichts, sank nur in Idos Arme und beruhigte sich. »Ich wollte diese gemeinen Sachen gar nicht sagen ...«
»Ich weiß«, lächelte Ido. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, die Zukunft zu umarmen, den Jungen, in dem Nihal weiterlebte.
»Aber ich fühle mich die ganze Zeit, als würde ich von irgendetwas zermalmt, einen furchtbaren Druck, auch in meinem Bauch. Es ist nicht auszuhalten, manchmal denke ich, ich kann das gar nicht schaffen.« »Das Gefühl kenne ich. Aber glaub mir, das hältst du aus.«
Der Junge nickte an seiner Schulter, und Ido drückte ihn noch fester an sich.
Irgendwann schlief San ein, und Ido ließ ihn mit in seinem Bett schlafen.
Die Herren der Unerforschten Lande
Im Kerzenlicht betrachtete Dubhe das Fläschchen. Gleich neben ihr schlief Lonerin tief und fest und schien nichts bemerkt zu haben. Genauso wie am Tag zuvor war sie wieder sehr früh aufgewacht.
Seit einigen Tagen schon ließ ihr die Bestie keine Ruhe, doch an diesem Morgen war das tiefe Brüllen, das ihren ganzen Körper erbeben ließ, noch mächtiger gewesen. Sie brauchte ihr Mittel, und das sofort.
Seufzend betrachtete sie die wenige milchige Flüssigkeit, die noch übrig war. Für die ganze Reise würde sie mit Sicherheit nicht reichen. Und das andere Fläschchen, das sie Rekla stibitzt hatte, war beim Tauchen in dem Teich verloren gegangen.
Festgestellt hatte sie das, kurz nachdem sie Lonerin wiedergetroffen hatte. Sie hatte es ihm noch nicht gesagt aus Furcht, er sorge sich dann wieder zu sehr um sie, was ihr immer noch unbehaglich war. Sie wollte nicht getröstet werden, wollte diese Wut auf sich selbst zulassen, weil sie durch ihre eigene Schuld diese kostbare Substanz verloren hatte. Wie dumm von ihr, ihrem Leben ein Ende machen zu wollen. Darüber hinaus war sie sich über ihre Gefühle zu Lonerin nicht im Klaren. Sie fühlte sich eigenartig, einfach anders.
Es schien alles so absurd. Als sie ihn wiedergetroffen hatte, schwebte sie im siebten Himmel, und Lonerin war ihr nicht nur Freund, sondern bald auch Geliebter geworden. Doch nun fühlte sie sich erneut schwach und allein. Nichts von der Kraft, die sie bei ihrem Wiedersehen verspürt hatte, war geblieben.
Sie entkorkte das Fläschchen und nahm einen Schluck. Es war angenehm, wie die Flüssigkeit die Kehle hinunterlief, und sogleich meldete sich der Wunsch, noch mehr zu trinken. Vielleicht würde sie sich nach einem weiteren Schluck besser fühlen. Mit Sicherheit aber würde sich die Bestie noch tiefer in ihre Höhle zurückziehen und sie selbst die Welt in ihrer ganzen Fülle wahrnehmen können und damit auch Lonerin. Schade, dass sie es sich nicht erlauben konnte. Dubhe kniff die Lippen zusammen und stellte das Fläschchen weg. Es war nur noch gut zur Hälfte gefüllt. Zwei, drei Wochen höchstens würde das reichen, dann hatte sie nichts mehr, was der Bestie Einhalt gebot.
Sie spürte, wie die Angst davor wuchs. Was würde sie tun, wenn es so weit war? Sie schloss die Augen, so als ließe sich das Problem dadurch vergessen, und wandte sich dann Lonerin zu, um durch seinen Anblick etwas Trost zu finden. Sein Profil war im schummrigen Licht der Höhle kaum zu erkennen, aber es reichte, um sie an Mathon zu erinnern. Als kleines Mädchen war sie in ihn verliebt gewesen und brauchte ihn nur anzuschauen, um ein seltsames Kribbeln im Bauch zu spüren. Dubhe ließ den Blick auf Lonerins Händen ruhen. Nichts. Sie fühlte absolut nichts. Dann beobachtete sie, wie sich sein Brustkorb hob und senkte, aber es war, als sei er überhaupt nicht da. Das Gefühl, wieder so weit von ihm entfernt zu sein, erfüllte sie mit Schmerz.
»Wäre es nicht wieder an der Zeit, von dem Gegengift zu nehmen?«
Lonerin war stehen geblieben und hatte sich zu ihr umgedreht, sein Gesicht teilweise erhellt durch die Lichtkugel, die von seiner Handfläche ausging. Sie krochen gerade durch einen niedrigen engen Gang, er voran, sie hinter ihm. Dubhe wich seinem Blick aus. »Habe ich schon.« Er schien überrascht. »Das habe
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