Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
es dir?«, erkundigt sich Kyol.
Ich weiß nicht, warum mir seine Frage Tränen in die Augen steigen lässt – ich habe nicht mehr geweint, seitdem ich Lord Raen zuletzt sah –, aber mein Kinn zittert, und die Mauer, die ich um meine Gefühle errichtet habe, bricht. Ich wirbele herum und werfe meine Arme um seinen Hals. Er legt die Arme um mich und hält mich fest, als ob sich nichts verändert hätte.
Doch es hat sich alles verändert. Zwischen uns wird nichts wieder so sein wie früher.
»Kaesha .«
Ich lehne meinen Kopf an seine Brust und höre seinen Herzschlag. Irgendwie klingt er, als sei sein Herz schwer und gebrochen. Aber vielleicht ist es auch meins.
»Es geht dir gut«, sage ich.
»Ja.« Er streicht mir übers Haar. »Ich habe in Lenas Auftrag mit den Ältesten der Provinzen gesprochen.«
»Werden sie sie unterstützen?«
»Einige vielleicht.«
Seine Worte sind kaum mehr als ein Flüstern, und mir ist klar, dass das nicht die Unterhaltung ist, die wir eigentlich führen sollten. Ich habe ihm einiges zu sagen, Dinge, die er wissen muss.
»Kyol …«
»Sch«, sagt er. »Ich weiß.« Er holt tief Luft und macht einen Schritt nach hinten, um mich anzusehen. »Ich wünschte … Ich wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickelt. Ich wünschte, ich wäre nicht so ein Narr gewesen.«
»Aber …«
»Nein. Es ist schon okay. Ich verstehe, warum du mich verlässt. Du hast die richtige Entscheidung getroffen. Ich habe so vieles falsch gemacht.«
Der Schmerz und die Reue in seiner Stimme bringen mich fast um. Ich sage nichts, weil ich keinen Ton herausbringe. Meine Kehle brennt viel zu sehr. Wenn es einen Weg gäbe, das zu tun, was ich tue, ohne ihm wehzutun, dann würde ich ihn einschlagen. Er ist mein Beschützer, meine erste Liebe, mein bester Freund. Er ist der Einzige in meinem Leben, der mich immer verstanden hat, aber trotzdem stimmt es, was ich hinter Naitos Haus zu ihm gesagt habe: Ich hätte nie zehn Jahre auf ihn warten dürfen. Ich hätte mich selbst mehr respektieren und mich besser behandeln müssen. Ich hätte verlangen sollen, besser behandelt zu werden. Dann hätte er vielleicht nachgegeben. Wir wären noch zusammen. Aber ich war ein Feigling. Ich habe ihm nie ein Ultimatum gestellt, weil ich Angst hatte, dass er seinen König mir vorziehen würde.
»Ich sollte gehen«, sagt Kyol. »Der Palast wird noch immer angegriffen, und Lena ist …«
Da würden mir viele Begriffe einfallen, aber ich ziehe nur eine Augenbraue hoch und warte.
»Unbekümmert«, beendet er schließlich seinen Satz. »Sie besteht darauf, in die Wachrotation mit einbezogen zu werden. Wir brauchen mehr Fae, um die Kontrolle über den Palast zu behalten, aber es ist töricht, dass sie ihr Leben riskiert.« Er holt tief Luft. »Ich wollte nur sichergehen, dass es dir gut geht, bevor ich wieder mit ihr spreche.«
»Mir geht es gut«, erwidere ich, aber ich fange schon wieder an zu weinen. Ich versuche, meine Tränen vor Kyol zu verstecken, aber er bemerkt sie. Er nimmt mich noch einmal in den Arm. Ich sollte ihn wegstoßen, weil ich diesen Abschied nicht noch schwerer machen will. Ich werde ihn wiedersehen, aber es wird nie mehr so sein wie jetzt. Wir werden einfach … Freunde sein. Bekannte. Kollegen.
Das Ritsch-Ratsch eines sich öffnenden Risses hallt durch das Zimmer. Kyol legt die Arme fester um mich und sieht dann konzentriert über meine Schulter. »Wenn Jorreb dir wehtut, bringe ich ihn um.«
Er küsst meine Hand und lässt seine Lippen einige Sekunden auf meiner Haut verweilen, um ein letztes Mal meine Chaosschimmer in sich aufzunehmen. Dann macht er einen Schritt nach hinten und lässt meine Finger durch seine gleiten, während er einen Riss öffnet. Einen Augenblick später ist Kyol verschwunden.
Bevor ich mich umdrehe, wische ich mir die Tränen von den Wangen.
Aren steht einige Schritte von mir entfernt. Er hat die Hände in die Hosentaschen gesteckt, und sein Haar ist völlig zerzaust, aber er ist nicht länger voller Blut, Schweiß und Schmutz. Allerdings sieht er müde aus. Müde und vielleicht auch ein wenig besorgt.
Er spricht, bevor ich etwas sagen kann. »Wenn ich ein guter Mann wäre, dann würde ich anerkennen, dass Taltrayn ein ehrenwerter Fae ist, dass er dich liebt und dass er sich um dich kümmern würde. Ich würde verschwinden und dir den Mann lassen, den du immer haben wolltest. Aber, McKenzie, ich bin nicht so gut wie Taltrayn. Ich werde es nie sein, und ich kann nicht
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