Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
das von meinen zappelnden Beinen kommt, als Micid einen torgebundenen Riss öffnet. Er drückt mir einen Ankerstein in die Hand, bedeckt meine Faust mit seiner Hand und zieht mich in den Riss aus weißem Licht.
Meine vom Regen durchnässte Kleidung scheint auf meiner Haut zu gefrieren. Ich habe überall Schmerzen, die mir den Atem rauben und meine Muskeln krampfen lassen, und zwar überall: Ich habe Krämpfe im Bauch, in den Waden, in meinem verletzten Rücken. Alles tut weh.
Dann verschwindet das Zwischenreich, und ich taumle ins Reich. Meine Lungen scheinen nicht mehr richtig zu funktionieren. Die Luft, die ich einatme, scheint keinen Sauerstoff zu enthalten. Schatten kriechen in mein Blickfeld, lassen die vergoldete Flügeltür des Thronsaals verschwimmen. Nicht alle Schatten sind Überreste unseres Übergangs, die meisten haben ihre Ursache darin, dass ich langsam das Bewusstsein verliere. Meine Knie geben nach, aber Micids Hand packt mein Haar und zerrt mich durch die offene Tür.
Ich erhole mich so weit, dass ich die Füße in den Boden stemmen kann, sodass Micid stehen bleiben muss. Er streicht mit der Hand über meinen Hals und bringt meine Edarratae in Aufruhr. Als er mir den Arm um die Schulter legt, ramme ich ihm meinen Ellbogen in den Bauch.
Er zischt, legt eine Hand auf meinen Nacken und drückt mir mit der anderen eine Klinge an die Kehle.
»Bring sie her, Micid«, sagt Atroth und erhebt sich von seinem Thron. Vier Wachen stehen am Fuß der Estrade, die Hände am Schwert, und mehr als ein Dutzend Armbrustschützen sind an den langen Wänden postiert, stehen mit dem Rücken zur Wand, die Waffe in den Händen. Alle schweigen und sind wachsam, falls irgendein Rebell durch das Sidhe Tol kommt.
Micid drückt mir seinen Mund ans Ohr. »Ich werde dich zähmen, wenn das hier vorbei ist.«
Die Klinge schneidet in meine Haut, als er mich über den blauen Teppich zerrt. Mir ist kalt, und ich zittere, aber meine Kleidung ist nur nass und nicht gefroren, wie ich zuerst geglaubt hatte, und die Muskelkrämpfe sind jetzt auch vorbei. Dummerweise bin ich mir meines hämmernden Herzens und der Nervosität in meinem Bauch nur zu gut bewusst. Wenn ich nicht darauf hoffen würde, irgendwie noch einen Ausweg zu finden, würde ich Micid zwingen, mir die Kehle durchzuschneiden. Ich wäre lieber tot als in diesem Hurenhaus.
Atroth starrt mich an, als wäre ich ein Kind, das seine Eltern enttäuscht hat. Als er die Stufen der Estrade hinuntergeht, gehen seine vier Wachen unten zur Seite und lassen ihn durch.
»Steck das Messer weg, Micid.«
»Natürlich, mein König.« Die Klinge verschwindet.
Ich fahre mir über den Hals. Er blutet kaum – der Metallsplitter hinten in meinem Arm stellt eine weitaus schlimmere Verletzung dar –, aber Atroth runzelt die Stirn, löst seine blaue Schärpe um seinen Bauch und betupft damit meine Schnittwunde. Ich weiß nicht, warum er sich die Mühe macht. Meine Kleidung ist über und über mit Kelias Blut befleckt.
Kelia . Sie ist tot. Kyol vermutlich auch. Und Aren?
Mein Magen zieht sich zusammen. Die Schlacht am Sidhe Tol verlief nicht gut, und Aren hat nicht gesehen, wie ich von Micid weggeschleppt wurde. Naito und ich haben ihm von dem Ther’rothi erzählt, aber wird er begreifen, was passiert ist?
Atroth legt die Schärpe einige Male zusammen und steckt sie dann in eine Tasche seiner bestickten Jacke.
»Du bist zu einem Problem geworden, McKenzie.«
»Was wollt Ihr?« Irgendwie schaffe ich es, wütend zu klingen und nicht etwa erschöpft und verängstigt.
Atroth zieht die Augenbrauen hoch. »Was ich will? McKenzie, du hast dir das selbst zuzuschreiben. Als wir dich vor der Rebellion gerettet haben, hatte ich vor, wie üblich weiterzumachen. Ich dachte immer, du wärst klug und hättest einen starken Willen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, du könntest dich von einem Falschblut manipulieren lassen. Noch schlimmer ist jedoch, dass du deine Chaosschimmer benutzt hast, um Taltrayn ebenso zu manipulieren.«
»Ich habe nicht …«
Micid schüttelt mich, und ich schlucke meine Worte hinunter.
Atroth seufzt. »Ich schätze, sein Tun ist auch teilweise meine Schuld. Ich wusste, was er für dich empfindet, aber ich habe ihm geglaubt, als er mir geschworen hat, er würde diese Gefühle ignorieren. Dennoch hätte ich euch nicht erlauben sollen, so eng zusammenzuarbeiten, und das auch noch so lange Zeit.« Er schüttelt den Kopf, als hätte er das mit sich selbst schon
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