Die Schattenmatrix - 20
gehabt.
»Das ist Miralys, Regis«, sagte Liriel. Sie sah zu dem kleinen Mädchen hinab. »Ich kenne nicht alle ihre Namen, denn darüber haben wir noch nicht gesprochen.«
»Auf jeden Fall ein sehr hübscher Name. Willkommen auf Burg Comyn.«
»Danke«, sagte Mira sehr leise. »Es sieht prächtig aus hier.« »Im Vergleich zu Haus Halyn sieht alles prächtig aus«, warf Valenta grinsend ein. »Was ist nun mit diesem Bad und frischer Kleidung?« »Selbstverständlich. Wie unhöflich von mir, euch hier warten zu lassen.« Regis winkte einem Dienstmädchen, das geduldig beim Eingang wartete. »Bitte führe die jungen Damen zur Elhalyn-Suite und hilf ihnen, es sich bequem zu machen.«
Das Dienstmädchen, eine Frau in den Zwanzigern, nahm die beiden Mädchen an der Hand und führte sie weg. Valenta
warf im Weggehen einen fröhlichen Blick über die Schulter zurück, und Mikhail war erleichtert, dass es ihnen wieder ganz gut zu gehen schien. Miralys würde sich bestimmt bald erholen, und Valenta war eindeutig zu allem bereit - vielleicht sogar zu Abenteuern. Nach den Ereignissen in Haus Halyn hoffte Mikhail allerdings auf eine gesegnete Langeweile auf Burg Comyn.
Emun, der schweigend in Liriels Schatten gewartet hatte und immer noch Vincents Hand fest hielt, trat nun vor. Er wirkte noch weißer als sonst, als würde er sich vor Regis fürchten. Vincents Gesicht war im Gegensatz dazu ausdruckslos und seine Wangen rosig. Er war jeder Zoll ein Mann, eine Gestalt wie der König, der er hatte werden wollen. Der glasige Blick seiner Augen trübte die eindrucksvolle Wirkung allerdings ein wenig.
Emun machte eine steife Verbeugung und stand vor Regis Hastur, als erwartete er ein Urteil - und zwar kein günstiges. Sein hellrotes Haar fiel ihm stumpf und lose in die schmale Stirn. »Ich bin EmunEstavan Mikhail Elhalyn, und das ist mein Bruder Vincent-Regis Duvic Elhalyn y Elhayln. Ich hoffe, Ihr seid nicht gekränkt, weil er nichts sagt - er ist im Augenblick nicht er selbst.« Das Beben in seiner Stimme glich einem Piepsen.
Regis’ Gesicht war der Schock nicht anzusehen, aber Mikhail wusste, dass er über Vincents Namen bestürzt war. Er bemerkte den raschen Blick, den sein Onkel Danilo Ardais zuwarf. Mikhail war fassungslos - Elhalyn y Elhalyn! Wenn er die vollständigen Namen der Kinder doch nur früher herausgefunden hätte! Warum hatte er sie nicht danach gefragt? Aber wahrscheinlich hätten sie ihm die Namen sowieso nicht verraten. Selbst bei seinem früheren Besuch hatte keines der Kinder seinen vollständigen Namen genannt, und Mikhail nahm an, dass ihnen Priscilla sehr strenge Anweisungen in dieser Sache gegeben hatte. Doch Derik war lange vor Vincents Geburt gestorben, er konnte unmöglich der Vater des Jungen sein. Trotzdem wurde Vincents felsenfeste Überzeugung, er werde der künftige König sein, verständlicher, wenn er sich Elhalyn y Elhalyn nannte. Es war schade, dass Priscilla ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen hatte.
Regis blickte sich um, aber keiner der Diener stand so nahe, dass er Emuns leise Vorstellung hätte hören können. Wer war Vincents Vater, dass der Junge einen solchen Namen geltend machte - er konnte eigentlich nur ein Nedestro von Priscilla sein? Und was würde der Rat der Comyn davon halten, falls Regis diesen Umstand je öffentlich werden ließ? Mikhail wusste nicht, ob Vincent jemals wieder geistig gesund wurde - falls er überhaupt je gesund gewesen war -, aber es war völlig klar, dass er mit einem derart skandalösen Erbgut niemals als König akzeptiert würde. Mikhails Empfindungen schwankten zwischen Bedauern und Erleichterung. Natürlich bedauerte er Vincents gegenwärtigen Zustand, aber da er keine ernsthaften Hoffnungen mehr hegte, dass der junge Mann jemals den Thron bestieg, und sei es auch nur als Marionette der Hasturs, war er beinahe erleichtert, dass diese neuen Umstände ihn als zukünftigen König ohnehin ausschlossen. Damit blieb nur noch Emun als geeigneter Kandidat, doch der Bursche war so dünn und zerbrechlich, dass Mikhail große Zweifel hatte, ob er das Erwachsenenalter überhaupt erreichen würde.
Mikhail überging die Verzweiflung, die sich in seiner Brust breit machte. Alles sah danach aus, als sollte er tatsächlich an einem Thron hängen bleiben, den er nicht haben wollte. Der Zorn, den er während der Reise gar nicht gespürt hatte, regte sich wieder und mit ihm ein tiefer Widerwille. Eine düstere Stimmung legte sich über sein Gemüt. Himmel, war er müde. Er
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