Die Schattenmatrix - 20
es tut mir Leid, dass ich alles so verpfuscht habe.
Unsinn! Ich habe dich in eine unmögliche Lage gebracht. Im Nachhinein bedauere ich es sehr. Er lächelte Mikhail an. Was weißt du darüber?
Nur, was mir Liriel erzählt hat, und das war eine ganze Menge. Mehr zu deinem Ruhm als zu meinem. Warum hast du nicht früher um Hilfe gebeten?
Ich konnte es nicht.
Mikhail drehte sich um und sah zu seiner Schwester, die mit den beiden Mädchen an der Hand die Treppe heraufkam. Sie hatte ihm nicht erzählt, dass sie mit Regis Kontakt aufgenommen hatte, und Mikhail fühlte sich gleichzeitig erleichtert und irgendwie hintergangen. Liriel hatte ihn schützen wollen; dennoch ärgerte er sich ein wenig, weil er hinter ihren wallenden Röcken Schutz suchte, außerdem war er wütend auf sich selbst wegen seiner Undankbarkeit.
Zwei Diener hoben Alain auf eine Trage, während Emun ihnen mit großen Augen zusah. Er nahm die schlaffe Hand seines Bruders und tätschelte sie. Vincent stand neben ihm, inzwischen wieder völlig ruhig, nachdem er während der Reise mehrere plötzliche Wutanfälle gehabt hatte. Mikhail und Liriel hatten nicht gewusst, was sie tun sollten, weil sie eine mögliche Katastrophe befürchteten, falls sie dem jungen Mann ein Schlafmittel verabreichten. Vincent war durchaus in der Lage, Fragen zu beantworten, auch wenn er ständig über Kopfschmerzen klagte und bei dem kleinsten Geräusch und hellem Licht zusammenfuhr.
Emun, der wesentlich älter als seine vierzehn Jahre wirkte, begleitete Vincent hinter den Männern mit der Trage die Treppe hinauf. Mikhail dachte daran, was für ein guter Junge er doch war, dass er Vincent nach all den Schikanen, die er von ihm erduldet hatte, noch so freundlich behandelte.
Sie gingen weiter bis zur Burg, ein Haufen müder Reisender. Als sie durch die Tür schritten, flog die Krähe mit einem
Schrei davon, zweifellos auf dem Weg zur Küche. Mikhail legte seinen nassen Mantel ab, schüttelte ihn aus und gab ihn einem der Diener. Dann stampfte er mit seinen kalten Füßen auf und sah seinen Onkel wieder an.
Regis fing seinen Blick auf, lächelte und zuckte die Achseln. »Ich nehme mal an, ein heißes Bad und frische Kleidung werden ganz oben auf der Tagesordnung stehen.«
Mikhail bemerkte den vorsichtigen Tonfall in den Worten seines Onkels und musterte ihn prüfend. Irgendetwas war anders an Regis, allerdings konnte er die Veränderung nicht genau benennen. Er wirkte wesentlich älter und ernster. Doch Mikhail war zu müde, um dieses Rätsel auf der Stelle zu entwirren. »Allerdings.«
In diesem Augenblick ließ Valenta Liriels Hand los und ging auf die beiden Männer zu. Sie sah Regis sehr scharf an, und ihre dunklen Augen funkelte. »Werden wir jetzt hier wohnen?«, fragte sie. Regis beugte sich vor, so dass er auf Augenhöhe mit dem Mädchen war. Seine Miene war gütig, so wie sie bei seinen eigenen Kindern und Mikhail immer gewesen war. »Würde dir das denn gefallen?« »Ich weiß nicht. Es ist hübsch und warm hier. Aber ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Weißt du eigentlich, wer ich bin?«
»Natürlich! Mit diesem weißen Haar könnt Ihr nur Regis Rafael Felix Alar Hastur y Elhalyn sein, und Ihr seid mein Vetter.« »Du hast mir voraus, dass du alle meine Namen kennst, an die ich, ehrlich gesagt, nur selten denke.«
Was für eine energische junge Frau! Ist sie immer so … ungestüm, Mikhail?
Sie ist so, seit wir Haus Halyn verlassen haben. Aber selbst vorher zeigte sie schon einen lebhaften Verstand. Sie und ihre Schwester werden sicher einmal bemerkenswert - das Problem sind eher die Knaben.
Ach so. Wir sprechen später darüber.
»Ich freue mich sehr, dass ich dich endlich kennen gelernt habe.« Regis nahm Valentas Hand und beugte sich anmutig darüber - so gut es in seiner gebückten Haltung eben ging -, und dann lächelte er sie an. Er stand auf und blickte zu dem anderen Mädchen.
Miralys strahlte nicht wie ihre Schwester, sondern blieb im Hintergrund stehen und hielt sich weiter an Liriels Hand fest. Der Tod ihrer Mutter hatte sie mehr erschüttert als Valenta und sie einen Teil ihrer ruhigen Selbstsicherheit gekostet. Dennoch schaute sie Regis fest in die Augen, schluckte heftig und machte einen kleinen Knicks. In Miralys’ Haltung lag eine unglaubliche Würde, als wäre sie schon weit älter. Mikhail verspürte eine tiefe Traurigkeit bei dem Gedanken, dass sie nie eine richtige Kindheit hatte. Er wusste, wie schlimm das war, denn er hatte selbst keine
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