Die Schattenmatrix - 20
das hatte ich noch nicht gehört. Wir hatten eine ganze Weile
keinen Kontakt mehr … seit fast sechs Jahren, oder? In der ganzen Zeit ist nur eine Neuigkeit über die Aldarans bis zu uns vorgedrungen, nämlich dass dein Bruder Hermes die Position von Lew Alton im Terranischen Senat übernommen hat. Wer ist dein Ehemann?« Mikhail sah sich um, aber sie waren allein, bis auf einen Lakai, der an einer Anrichte Wein einschenkte.
»Es waren eher sieben Jahre, aber ich bin froh, dass es dir kürzer vorkommt.« Ihre Stimme war belegt und klang honigsüß, sie rückte näher an ihn heran und musterte ihn so eingehend, dass er ganz unruhig wurde. Er hatte diesen Blick schon bei vielen jungen Frauen gesehen. Bisher hatte er nie genau gewusst, wie er ihn beschreiben sollte, aber in diesem Moment fiel ihm schlagartig das Wort >räuberisch< ein. Er kam sich wie ein fetter Gänserich vor, den ein hungriger Fuchs anstarrt. »Ich habe vor vier Jahren Bertrand Leynier geheiratet. Inzwischen bin ich Mutter von zwei Kindern.« »Zwei, das ist ja wunderbar.« Mikhail wünschte, jemand würde ihn von dieser unangenehmen Unterhaltung befreien, aber er war auch erleichtert, dass Gisela nicht auf Männerjagd war, sondern nur übertrieben freundlich. »Ich kenne deinen Gatten nicht - ich glaube, ich habe schon mal von ihm gehört, aber wir sind uns nie begegnet. Ich freue mich darauf, seine Bekanntschaft zu machen.« Es gelang ihm, interessiert und höflich zu wirken, aber sein Mut schwand gleich wieder. Bertrand hatte einen äußerst zweifelhaften Ruf, er war ein kleiner Gutsherr oben in den Hellers, der mindestens so alt war wie Dom Gabriel und bereits zwei Frauen beerdigt hatte. Die Aldarans hätten sicher etwas Besseres für Gisela finden können, auch wenn sie in der darkovanischen Gesellschaft nicht akzeptiert waren. Selbst ein Terraner wäre da noch besser gewesen! Dann schalt er sich, weil er so unbarmherzig und engstirnig war - ein Terraner, ja sicher!
Gisela schüttelte so heftig den Kopf, dass die sanften Locken, die sich um ihr Gesicht rankten, in Bewegung gerieten. »Dieses zweifelhafte Vergnügen wird dir erspart, Mik. Bertrand war vor zwei Jahren so gnädig zu stürzen und sich sehr zu meiner Freude den Hals zu brechen.«
»Ich sehe, du hast deine alte Gewohnheit beibehalten und sagst noch immer, was du denkst«, erwiderte Mikhail, so ruhig er konnte. An einer jungen Witwe, die nachweislich fruchtbar war, einer Frau in etwa seinem Alter, die er kannte und deren Gesellschaft er sogar schon einmal genossen hatte - wobei er allerdings nicht gedacht hätte, dass jemand davon wusste -, würden sicher viele Männer Gefallen finden. Davon mal ganz abgesehen, dass sie eine Aldaran war.
Obwohl sein Verstand völlig ermattet war, prüfte er dennoch alle Möglichkeiten. Mikhail vermutete, dass Regis die Hand bei Giselas Anwesenheit im Spiel und dabei den Hintergedanken hatte, den Bruch zwischen den Aldarans und den übrigen Domänen durch eine Ehe zu kitten, und Mikhail war vermutlich das Werkzeug dafür. Doch vielleicht irrte er sich auch, und Regis hatte einen seiner Brüder für Gisela vorgesehen. Mikhail stellte sich einen vergnüglichen Augenblick lang vor, wie Gabriel versuchte, mit ihrem flinken Verstand Schritt zu halten, und entschied, dass Rafael den besseren Ehemann für sie abgeben würde. Der war zumindest schlau.
»Bertrand war alt, er trank zu viel und unterhalten konnte man sich mit ihm auch nicht. Es änderte auch nichts an diesen Tatsachen, wenn man so tut, als sei alles anderes gewesen. Außerdem habe ich nie gelernt, mich damenhaft zu geben, da ich keine Mutter als Vorbild hatte.«
Ihr Lächeln, das Mikhail vor ein paar Jahren noch betörend vorgekommen war, hatte seine Anziehungskraft verloren, und ihre grünen Augen kamen ihm nun berechnend vor. »Und weshalb bist du gerade in Thendara?«
»Mein Sohn Caleb, der schon immer etwas anfällig war, braucht mal wieder ärztliche Behandlung, deshalb habe ich ihn hierher gebracht. Im Augenblick richtet er ein furchtbares Chaos im terranischen Krankenhaus an. Du hast ja keine Ahnung, wie anstrengend Kinder sein können.« Gisela klang ein wenig bestürzt, als wäre Calebs Gebrechen böse Absicht.
»0 doch, die habe ich. Ich habe mich gerade zwei Monate lang mit der Elhalyn-Brut herumgeschlagen, ohne übrigens sonderlich erfolgreich zu sein. Wenn du glaubst, dass kleine Kinder anstrengend sind, dann warte erst mal, bis sie halbwüchsig sind!« »Du machst mir Angst.« Sie
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