Die Schattenmatrix - 20
ja schlimmer als in Hali!«
Mikhail nickte und sah sich um. Er stand auf einem gepflegten Rasen, der allerdings nicht grün war. Er hatte eine
seltsame rosafarbene Tönung, und kleine Blumen wippten auf zarten Stängeln im Wind hin und her. Mikhail wusste, dass ein Gewächs von dieser Farbe nur rund um die Rhu Fead wuchs, die Kapelle in der Nähe des Turms von Hali, und das war meilenweit von hier entfernt. Er hatte diesen heiligen Ort nie besucht, aber genügend darüber gehört, und die Sache war ihm ein großes Rätsel. Vor ihnen lag weder die ausgebrannte Ruine noch das Bauernhaus, das er aus der Ferne gesehen hatte. Stattdessen standen sie vor einem flachen, runden Gebäude aus weißem Feldstein, das mit Torfplatten bedeckt war. Schlingpflanzen wuchsen aus der Erde und rankten sich um die gebogenen Wände, und die Luft roch nach Balsam und Lavendel. Einige Nadelhölzer standen in einer kleinen Gruppe um das Gebäude, ihre dunkelgrünen Zweige warfen tiefe Schatten auf die Steine und den Boden.
Mikhail sah über die Schulter und suchte nach den Pferden, aber er entdeckte nur ein schwaches Schimmern, das wie silberner Nebel in der Luft hing. Die Krähe zwickte ihn wieder ins Ohr. »Ich hoffe sehr, dass du weißt, wohin du uns führst«, sagte er zu dem Tier. Als Antwort erhielt er nur ein Flügelschlagen.
Langsam näherten sie sich dem Gebäude, beide waren sie nicht besonders versessen darauf, es zu betreten. Marguerida hatte ihre Hand in Mikhails geschoben, und er spürte, wie sie in seinem Griff leicht zitterte. Er kam sich sehr klein vor, wie ein Kind. Das Ganze wirkte wie eine Illusion, aber er roch die Vegetation, den unverwechselbaren Geruch von Steinen und Moos. Wie konnte etwas gleichzeitig real und eingebildet sein.
Zumindest gibt es hier keine Hühnerbeine.
Was? Margueridas plötzlicher Gedanke ergab keinen Sinn, aber Mikhail spürte den humorvollen Unterton.
In einer alten Geschichte ist von einer Hütte voller Geflügelbeine die Rede. Dort wohnt eine Hexe namens Baba Yaga, die in einem Mörser durch die Gegend fährt, und mit ihrem Stößel böse Kinder zermalmt.
Na, das ist aber mal ein lustiger Einfall. Manchmal wünschte ich, du hättest nicht so viele interessante Fakten auf Lager, meine Liebste. Manche davon sind sehr beunruhigend!
Ich weiß, aber ich fürchte, ich kann nichts dagegen tun. Der kuppelförmige Bau hatte keine Fenster, und trotz des rosafarbenen Grases unter ihren Füßen war Mikhail überzeugt, dass sie sich nicht in der Rhu Fead befanden. Er hatte das Gefühl, dass seine Augen immer noch irregeführt wurden. Aber sie waren am Ziel, und das beruhigte ihn ein wenig. Trotzdem war es unheimlich, und er wünschte, es wäre nicht so.
Sie gingen langsam um das Gebäude herum und entdeckten schließlich einen schmalen Spalt in den Steinen. Ein dünner Rauchfaden drang heraus, zusammen mit dem Geruch nach Essen. Mikhails Mund füllte sich mit Speichel, und er schluckte heftig. Sollen wir klopfen oder rufen?
Woran denn klopfen? Da ist doch gar keine Tür. Der Geruch macht mich wahnsinnig!
Mich auch, Mik. Ich hoffe nur, da drin ist keine Hexe, die in ihrem Kessel rührt und uns zum Abendessen erwartet - als ihre Mahlzeit! Sei nicht albern.
Tut mir Leid, Mik. Ich bin nur müde und fürchte mich, und wenn ich Angst habe, geht nun mal meine Fantasie mit mir durch. Mikhail bewunderte sie, wie offen sie ihre Angst eingestand, und wünschte, er könnte dasselbe tun. Er kam sich in diesem Augenblick weder besonders tapfer noch männlich
vor, aber das konnte er kaum vor sich selbst zugeben, geschweige denn vor Marguerida. Immerhin ließ er seine eigenen Gefühle für einen Augenblick mit denen von Marguerida übereinstimmen, dann drängte er sie unbarmherzig zurück.
Mikhail zwang sich, durch die schmale Öffnung zu treten, und erwartete, in der Dunkelheit zu stehen. Stattdessen betrat er eine strahlende Kugel und war im ersten Moment völlig geblendet. Er spürte, wie Marguerida neben ihm stolperte, und hielt sie an der Hand fest.
Seine Augen gewöhnten sich rasch an die Helligkeit, und er sah einen einzigen Raum mit einem Steinboden und nackten Wänden. Es handelte sich jedoch nicht um gewöhnliche Steine. Sie sahen aus wie Glas, und ein blaues Licht leuchtete aus ihnen. Mikhail spürte, wie Marguerida an seiner Seite zitterte.
Mir gefällt es hier nicht, Mik! Es ist hier fast genauso, wie dieser Raum … wie ihr Raum in dem alten Turm aussah. Es brennt! Meine linke Hand fühlt sich an, als
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