Die Schattenmatrix - 20
plötzlich kalt. Was, wenn sie nie wieder zurückkämen?
Er wusste, dass Margaret das Gleiche dachte, aber sie fragte nur: »Was hat er denn über Leonie Hastur geschrieben?«
»Lass mich überlegen. Man hat sie seiner Meinung nach der Möglichkeit beraubt zu tun, was sie tun wollte. Er meinte, sie hätte nie die Wahl gehabt, etwas anderes als eine Leronis zu werden, weil sie in so jungen Jahren schon damit anfing. Wir neigen selbst heute noch dazu, zunächst an Laran und erst in zweiter Linie an die Menschen zu denken, wie du weißt.«
»Nur zu gut, Mik, nur zu gut.« Die Bitterkeit in ihren Worten entging ihm nicht. »Ich bin dieser Denkweise in Arilinn begegnet, und ich habe sie gehasst. Manchmal schien es, als zählte an mir nur, dass ich die Alton-Gabe besitze - als wäre davon abgesehen nichts, was ich je tat oder noch tun würde, von Bedeutung. Ich kam mir manchmal vor wie ein Fußschemel!«
Ungeachtet ihres ernsten Tonfalls musste Mikhail lachen. »Du bist aber ein sehr dürftiger Fußschemel, Marguerida. Wie kommst du denn ausgerechnet auf dieses Möbelstück?« Sie überlegte einen Augenblick. »Wahrscheinlich, weil ein Fußschemel Füße hat, aber trotzdem nicht gehen kann. Er bleibt, wo er ist, und lässt sich benutzen! Er wirft nie jemanden mit dreckigen Stiefeln oder stinkenden Füßen ab. Er ist ein Gegenstand, und genauso fühlte ich mich in meiner glücklicherweise kurzen Zeit dort. Ich war ein Gegenstand der Neugier oder des Neides, aber nie, niemals war ich ein Mensch mit eigenen Zielen und Vorstellungen. Das klingt vielleicht stark übertrieben, aber genauso habe ich mich gefühlt.«
»Gefesselt?«
»Und wie! Meine Möglichkeiten waren sehr beschränkt: Ich konnte entweder den Rest meines Lebens in einem Turm verbringen oder heiraten und mich meinem Nachwuchs widmen, damit die AltonGabe und was sonst noch alles in meinen Genen lauern mag, auch erhalten bleibt. Ich fühlte mich schon gar nicht mehr als Mensch, sondern wie ein Vehikel zum Übermitteln von Laran.«
»Und in Neskaya?«
»Istvana ist eine sehr subversive Frau.« Marguerida bemerkte seinen erstaunten Blick.
»Komische Wortwahl.«
»Mir fällt kein besserer Ausdruck ein. Sie erwartet nie, dass alle Welt genau das tut, was sie sagt, und sie hat ein paar sehr eigenwillige Ideen, über die man in Arilinn wahrscheinlich schockiert wäre. Ich habe nicht genug Informationen, um mehr dazu sagen zu können, ich weiß nur, dass zwischen Neskaya und Arilinn Welten liegen.«
»Kannst du mir mal ein Beispiel nennen?« Mikhail war fasziniert und froh, dass er von der beständigen Sorge, die an ihm nagte, abgelenkt wurde.
»Istvana ist sehr für Erneuerungen und Diskussionen. Kannst du dir vielleicht vorstellen, dass Camilla MacRoss ihre Schützlinge dazu auffordert, über ihre Studien zu sprechen?« »Nein.«
»In Neskaya wurde eine Menge diskutiert, über alles Mögliche, so wie früher an der Universität. Ich erinnere mich an ein Streitgespräch, das sich über drei Abende hinzog, zwischen mir, Caitlin Leynier und Baird Beltran. Es ging um die Ethik der Telepathie. Wir kamen nie zu irgendwelchen einvernehmlichen Schlüssen, aber wir haben das Problem gründlich erörtert. Eines Abends vertrat Beltran den Standpunkt, dass jede Form von gedanklichem Austausch eine Verletzung der Privatsphäre darstellt, selbst wenn beide Teilnehmer der Kommunikation zugestimmt haben! Er verfolgt gerne sehr extreme Ideen. Aber es hat mir sehr zu denken gegeben, da die Alton-Gabe andere sehr stark unter Druck setzt.«
»Wie konnte er seine Ideen denn verteidigen?« Mikhail war neugierig, aber auch ein wenig verblüfft. Was für einen Turm leitete Istvana da oben eigentlich? Er war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass er die Ethik von Laran bis zu seiner Begegnung mit Emelda stets für eine sehr einfache Angelegenheit gehalten hatte. Seine Unwissenheit und Naivität ärgerten ihn nachträglich sehr. »Indem er argumentierte, niemand würde sein eigenes Bewusstsein so gut kennen, dass er eine sachlich begründete Zustimmung zur Telepathie geben könne. Es sagte, Telepathie sei immer zu einem gewissen Teil ein erzwungener Akt, ob offen oder versteckt. Und das Interessanteste war, dass nur die Hälfte der Diskussion verbal geführt wurde. Caitlin und ich waren uns übrigens einig, dass Beltran uns zu einer gründlichen Überprüfung unserer Einstellung zu Laran veranlasst hat.«
Mikhail spürte einen kurzen Stich von Eifersucht. Er kannte diesen Baird nicht, aber er
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